Sehr geehrte Damen und Herren,
ich bin Diplom-Psychologin und seit einer Dekade als Coach und Supervisorin in vielen Kindertagesstätten tätig. Des weiteren bilde ich Nachwuchsführungskäfte für Kitas aus und begleite Kitaleitungen im gesamten Kreis Mainz-Bingen bei der Qualitätssicherung ihrer Arbeit.
Während der letzten beiden Jahre wird für mich im Austausch mit den Erziehenden und Leitungen, aber auch an den inhaltlichen Anfragen für Beratung immer deutlicher, wie die rein faktische Belastung in den Einrichtungen wächst durch steigende Anforderungen an Prozesse, Verwaltungsaufgaben, Verantwortungsbereiche – wobei gleichzeitig Gestaltungsspielräume und Ressourcen weniger werden. Letztere nicht nur in Form personeller, zeitlicher und materieller Mittel, sondern auch in Form von Wertschätzung und Anerkennung. Die Schere zwischen Anforderungen und Ressourcen klafft damit immer weiter auseinander und fördert Stresserleben, vor allem aber auch das Erleben von Sinn und sinnerfülltem Arbeiten – bei einer Berufsgruppe, für die der Sinn ihrer Arbeit mit Sicherheit eine ihrer größten Motivationsquellen und Qualitäten darstellt. Neben den leidvollen menschlichen Auswirkungen nicht nur auf die Erziehenden, sondern auch auf Eltern, Kinder und Kooperationspartner, sehe ich gerade angesichts der neuen Corona-Regelungen auch einen ganz faktischen Effekt: Die ersten Leitungen und Mitarbeitenden ziehen einen aus meiner Sicht sehr nachvollziehbaren Grenz- und Schlussstrich. Und verlassen nicht nur „ihre“ Einrichtung, sondern gleich das Berufsfeld. Vor allem hoch qualifizierte Kräfte sehen hier durchaus andere Job-Optionen, die weder ihre Ideale noch ihre Gesundheit auf Dauer ruinieren, und haben ihre Schmerzgrenze nun soweit erreicht, dass sie diese auch ziehen. Der Wunsch, Kitas auf jeden Fall offenzuhalten in dieser Corona-Welle, mit den derzeitig verordneten Strategien, erweist sich durch die Domino-Ansteckungen und die zusätzlichen stressbedingten Erkrankungen der Mitarbeitenden nicht nur kurzfristig als kurzsichtig, sondern wird aus meiner Sicht vor allem auch mittelfristig wie ein Bumerang auf den ohnehin schon gravierenden Fachkräftemangel zurückkommen. Dazu kommt, dass ich die nicht gleiche Behandlung von Kita und Schule als strukturelle Abwertung einer Berufsgruppe verstehe, der seit langem die verdiente gesellschaftliche Wertschätzung in der Öffentlichkeit nicht in dem Ausmaß zugesprochen wird, wie ich es gern sehen würde. In diesem Sinne, ich möchte die Forderungen des Kitafachkräfte-Verbandes aus meiner fachlichen Perspektive in jeder Hinsicht unterstreichen.