Bund, Länder und Kommunen sind gemeinsam dafür verantwortlich, ein bedarfs- und kindgerechtes Kita-System zu etablieren. Im Jahr 2023 sprechen wir vom Kita-Kollaps oder der Kita-Katastrophe. Es gibt zu wenig Plätze, es mangelt an Fachkräften, und die pädagogischen Rahmenbedingungen liegen weit unter den fachlichen Mindestanforderungen. Das folgende Interview beleuchtet die kommunale- und Trägerebene. Trotz der unzureichenden gesetzlichen Rahmenbedingungen können Träger mehr tun als gesetzlich vorgeschrieben. Kommunen und freie Träger können mit guten Arbeitsbedingungen und Personalausfallkonzepten dem Fachkräftemangel entgegenwirken und die Situation vor Ort in den Kitas stabilisieren. Sie können für räumliche Bedingungen sorgen, die über die gesetzlich verankerten veralteten Bauvorschriften hinausgehen. So wird verhindert, dass Räume, die für Spiel, Bewegung und Kleingruppenarbeit zur Verfügung stehen sollen, zum Essen, Schlafen oder Ruhen zweckentfremdet werden.
Interview mit dem Kita-Akteur Sven Normann
Herr Normann ist der Fachbereichsleiter- Jugend, Familie, Bildung der Verbandsgemeinde Weißenthurm und damit verantwortlich für 10 Kitas mit 1262 Plätzen.
Als ehrenamtlicher Bürgermeister ist er auch Träger einer Kita der Ortsgemeinde Staudt.
Herr Normann, Sie managen die Kitas der Verbandsgemeinde Weißenthurm, zu der auch noch eine Kita in Kettig gehört. In ihrer Ortsgemeinde Staudt sind Sie als ehrenamtlicher Bürgermeister Träger einer einzelnen Kita mit 90 Plätzen. Wie unterscheiden sich diese Aufgaben?
In der Verbandsgemeinde Weißenthurm begannen wir 2013 die Trägerstrukturen zu professionalisieren und sind nun für 10 Kitas verantwortlich. Insgesamt verfügen die Kitas über 240 Vollzeitäquivalente, die sich in Voll -und Teilzeitstellen aufteilen. Als Fachbereichsleiter ist für mich Personalmanagement durch diese Größe wesentlich einfacher und effizienter als in Staudt, wo ich passgenau für meine einzige Kita Personal finden und Personalausfälle kompensieren muss.
Durch die professionellen Trägerstrukturen in der Verbandsgemeinde Weißenthurm bieten wir unseren Eltern eine hohe Betreuungssicherheit.
Was meinen Sie mit professionellen Trägerstrukturen und wie sieht bei Ihnen das Kita-Management konkret aus?
Wir personalisieren unsere Kitas so, dass Urlaub und durchschnittliche Krankheitstage mit eingerechnet werden. Jede Kita bekommt dementsprechend zu der in den in der Betriebserlaubnis errechneten Vollzeitäquivalenten und Leitungsdeputaten zusätzliches Personal.
Außerdem haben wir einen Vertretungspool aus „Nichtfachkräften,“ mit dem wir kurzfristig entstehende Engpässe abfedern. Die sogenannten Poolkräfte bekommen einen Vertrag für mindestens 4 Wochen bis zu einem Jahr. Immer wieder können wir über diesen Weg auch Menschen für den Quereinstieg in die duale Form der Erzieherausbildung gewinnen. Für die Zukunft wünsche ich mir ein modulares Fortbildungssystem, mit dem sich „Nichtfachkräfte“ für eine dauerhafte Tätigkeit in der Kita qualifizieren können.
Träger argumentieren oft, dass sie keine zusätzlichen Kräfte einstellen können, weil sie nicht wissen, wie viele Fehltage entstehen und dann Angst haben, die Kosten nicht refinanziert zu bekommen. Wie sehen Sie das?
Das ist ein gut kalkulierbares Risiko, denn alle Personalausfälle werden bis auf den Trägeranteil refinanziert. Die Fehlzeiten, die durch Urlaub entstehen, sind schonmal eine feste Größe und damit kalkulierbar. Aber auch eine bestimmte Anzahl an Krankheitstagen ist immer gegeben. Die Träger sind verpflichtet, ganzjährig den vollen Personalschlüssel zu gewährleisten. Für einen funktionierenden Kita-Alltag, der Betreuungssicherheit gewährleistet, müssen Personalausfälle vertreten werden.
Gelingt es Ihnen, neue Fachkräfte zu gewinnen, weil sie in ihren Einrichtungen gute Arbeitsbedingungen für Erzieher*innen bieten?
Im Jahr 2021 und 2022 gab es bei uns keine vakanten Stellen. Zu dieser Situation gehört aber auch, dass auch punktuell Stellenanteile mit Nichtfachkräften besetzt waren. Trotzdem fehlten Leute aufgrund von Langzeiterkrankungen, Beschäftigungsverbot oder Elternzeit. Deshalb ist es wichtig, mit genügend Vertretungskräften zu planen.
Wir versuchen auch möglichst viele unbefristete Verträge anzubieten. Das Deputat der unbefristeten Stellen ist aber durch die seitens Betriebserlaubnisse vorgegebenen Stellenanteile begrenzt.
Neue Mitarbeitende müssen in der Regel mit zwei befristeten Jahresverträgen rechnen, bevor eine Entfristung erfolgen kann. Seit der Trägerübernahme 2013 musste keine Kita-Fachkraft der Verbandsgemeinde Weißenthurm aus einem Be- und Entfristungsgrund gehen. Im Vorgriff auf die Eröffnung weiterer Kitas können wir bereits heute, im Vorgriff weitere Stellenanteile entfristen.
Als Träger führen wir regelmäßig alle drei bis vier Wochen Bewerbungsgespräche. Bei diesen Gesprächen ist immer auch eine Kita-Leitung beteiligt. Und Bewerber*innen hospitieren, im Rahmen unseres zweistufigen Bewerbungsverfahrens dann in einer unserer Kitas.
Zum Thema gute Arbeitsbedingungen gehören auch Zeiten für Fortbildung, Teamsitzungen und für die Vor- und Nachbereitung der pädagogischen Arbeit. Um die Arbeit strukturiert und effizient zu gestalten, gibt es Zeiten für Besprechungen im Gesamtteam, Bereichsteam, für die jeweiligen Bezugserzieher*innen und Wochenprojekte. Für die persönlichen Vorbereitungszeiten ist jede Einrichtung selbst verantwortlich. Es werden auch Zeiten für Konzeptionstage und Teamfortbildungen zur Verfügung gestellt.
Wie wichtig ist Ihnen, dass Ihre Kitas Ausbildungsbetriebe für angehende Erzieher*innen sind?
Ausbildung ist ein wichtiges Thema. Wir beschäftigen Studierende dualer päd. Studiengänge, Auszubildende als Erzieher*in im dualen System und Anerkennungspraktikanten. Die Zahl der Azubis ist bei uns nicht beschränkt. Wir sind bereit, so viele angehende Fachkräfte auszubilden, wie qualifizierte Anleitungen zur Verfügung stehen.
Sie haben in Gesprächen schon oft geäußert, dass die Umstellung Ihrer Kitas auf das neue Gesetz nicht problematisch war. Das sieht in vielen anderen Kitas auch bezüglich der räumlichen Situation ganz anders aus. Wie gehen Sie mit dem zusätzlichen Raumbedarf um, der durch die durchgehende Betreuung mit Mittagessen und Mittagsruhe entstanden ist, um?
Wir haben eine Standard-Kita für je 115 Kinder entwickelt. Jede neue Kita unserer Verbandsgemeinde wird nach diesem Raumkonzept gebaut. Wir suchen immer neu ein passendes Grundstück, auf dem eine Kita mit unserem Raumkonzept genügend Platz hat. Jeder Gruppenraum von 45 qm (das ist die noch immer gültige Bauvorschrift für Kita-Gruppenräume) hat zwei Nebenräume von je 17 qm, die auch zum Essen und Schlafen genutzt werden können. Es gibt einen Bewegungsraum und die Flurflächen werden vollständig bespielt. Die Standard- Kitas haben keine Garderoben im Flurbereich, sondern verfügen zusätzlich über separate Garderobenräume.
Im Rahmen der Umsetzung des Kitagesetzes haben wir das Ziel verfolgt an Bestandsgebäuden keine baulichen Änderungen am Grundriss vorzunehmen. Trotzdem war es unser Ziel, die Raumkapazitäten in unseren Einrichtungen anzugleichen. In unseren älteren Kitas haben wir daher die Kinderzahlen reduziert, damit den Kindern mehr Quadratmetern zur Verfügung stehen und nicht in Gruppenräumen gegessen und in Bewegungsräumen geruht werden muss. Gleichzeitig haben wir auch die Möglichkeiten des Kitagesetzes genutzt, um losgelöst von der leidigen Gruppendiskussion die Flächen insgesamt für die Kita zu bewerten. So konnten wir hier auch zum Teil mehr Kinder aufnehmen.
Herr Normann, ich höre andere Träger bei Ihren Ausführungen reflexhaft antworten: „Ja die Verbandsgemeinde Weißenthurm kann sich diese bessere Kita-Qualität eben leisten. Mit der schwierigen Finanzlage unserer Kommune können wir diese Qualität weder in Bezug auf das Personalausfallkonzept noch auf die Räumlichkeiten umsetzen.“ Was würden Sie einem solchen Träger empfehlen und sagen?
Wir haben in den letzten Jahren gelernt, wie systemrelevant der Kindertagesstättenbereich für unsere Gesellschaft ist. Für uns in der Verbandsgemeinde Weißenthurm ist die qualitative und quantitative Situation in der Kindertagesbetreuung auch ein wichtiger Standortfaktor. Wir wollen unseren Familien gute Lebenssituationen ermöglichen und hierzu zählen unabdingbar auch gute Betreuungssituationen in den Stadt- und Ortsgemeinden. Die Entscheidung der Familien in die Verbandsgemeinde zu ziehen, Eigentum zu erwerben oder zu errichten, ist oft maßgeblich im Wettbewerb mit den Nachbarkommunen auch an die Frage der Ermöglichung eines Betreuungsplatzes geknüpft. Diese Frage endet aber für die Familien auch nicht mit dem Übergang in die Grundschule. Auch hier ist dann das umfassende Engagement der Kommune notwendig. Das Engagement in die Raumsituation und in die Personalausstattung unserer Kitas ist in diesem Verständnis sehr lohnend für uns als Kommune, für die ansässigen Betriebe, die mit einer hohen Verlässlichkeit ihrer Mitarbeitenden planen können, aber insbesondere im Sinne der Bildung und des gesunden Aufwachsens der uns anvertrauten Kinder.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview mit Herrn Normann führte Claudia Theobald