Vor genau einem Jahr ist das neue Kita-Gesetz in Kraft getreten. Unsere Kritik richtet sich nicht gegen eine durchgehende Betreuung, Kita-Sozialarbeit und Elternmitwirkung. Wir kritisieren, dass Personalschlüssel, Leitungsdeputate und oft auch Räumlichkeiten nicht ausreichen, um gute frühkindliche Bildung und kindgerechte Betreuung zu gewährleisten. Der massive Fachkräftemangel gefährdet zudem verlässliche Betreuungszeiten und den bedarfsgerechten Ausbau der Kita-Plätze.
Das Kita-System ist komplex. Viele Akteure bilden zusammen eine Verantwortungsgemeinschaft. Alle Teile dieser Gemeinschaft können zu einer besseren Kita-Welt beitragen. Deshalb werde ich jetzt die verschiedenen Kita-Akteure ansprechen.
Liebe Kita-Fachkräfte,
Ihr tragt Verantwortung für den Kita-Alltag. Es ist eure Aufgabe, Nein zu sagen, wenn ihr Aufsicht und Fürsorge nicht mehr gewährleisten könnt. Kita-Fachkräfte und Leitungen sind nicht dafür verantwortlich, dass alle Kinder einen Kita-Platz bekommen. Und auch nicht dafür, Betreuungszeiten trotz Personalmangel aufrecht zu erhalten. Unsere Aufgabe ist es, bedürfnisgerecht zu betreuen und Kinder in ihrer Entwicklung zu begleiten. Die grundlegenden Bedürfnisse der Kinder müssen an erster Stelle stehen. Kinder, die lediglich satt und sauber aufbewahrt werden, sind in ihrer Entwicklung gefährdet.
Sprecht ehrlich mit Eltern, Trägern und Jugendämtern über die „MISTSTÄNDE“ in euren Kitas. Redet über die Atmosphäre im Gruppenraum, wenn dort mehr als 20 Kinder essen und berichtet, ob die Kleinsten im Matratzenlager des Turnraums zur Ruhe kommen. Erzählt, wie wenig Zeit Erzieherinnen für das einzelne Kind oder für die frühpädagogische Arbeit haben.
Liebe Eltern,
eine moderne Gesellschaft braucht genügend Kita-Plätze und bedarfsgerechte Öffnungszeiten. Und genauso brauchen eure Kinder Erzieherinnen, die jedes Kind in seiner Individualität wahrnehmen und begleiten. Satt, sauber und sicher ist nicht genug. Massenabfertigung ist niemals kindgerecht.
Engagiert euch deshalb für eine gute pädagogische Kita-Qualität. Ihr seid eine große Wählergruppe. Eure berechtigten Forderungen für eure Kinder kann die Politik nicht ignorieren. Ihr seid Teil des politischen Willens, wenn es um Kita-Politik geht.
Liebe Träger,
ihr tragt die Verantwortung für gute räumliche Bedingungen, geeignetes Personal und dafür, den vollen Personalschlüssel zu gewährleisten. Ihr steht in der Pflicht für eure Mitarbeiterinnen zu sorgen und sie nicht zu überfordern. Es gibt immer noch Träger, deren Kitas keinen Handlungsplan für Personalausfälle haben. Und es gibt Träger, die fordern, dass ihre Mitarbeiterinnen die Aufsichtspflicht verletzen, um unter allen Umständen die Öffnungszeiten aufrechtzuerhalten. Liebe Träger, es ist nicht egal, wie es Kindern und Erzieherinnen in euren Einrichtungen geht. Ihr könnt vor Ort für gute Verhältnisse sorgen. Genauso könnt ihr einen wichtigen Beitrag zur Bekämpfung des Fachkräftemangels leisten. Stellt so viele Ausbildungsplätze zur Verfügung, wie Bewerberinnen vorhanden sind. Wir brauchen alle, die geeignet sind.
Kitas sind komplexe Betriebe. Die kann man mittlerweile nicht mehr so nebenher verwalten. Deshalb qualifiziert euch und etabliert professionelle Trägerstrukturen.
Liebe Kommunen und Kreise,
eine ganztägige Betreuung bereits sehr junger Kinder ist kostspielig. Sie ist aber notwendig, damit junge Eltern arbeiten und wiederum Steuern zahlen können. Kinder müssen Priorität haben, auch in finanzieller Hinsicht. Setzt die Kinder an die erste Stelle im kommunalen Haushalt und sorgt für gut ausgestattete Kitas, denn die Kinder sind unsere Zukunft.
Liebes Landesjugendamt,
Sie haben den Auftrag, das neue Kita-Gesetz umzusetzen, jeder Kita eine Betriebserlaubnis zu erteilen und den Umstellungsprozess zu begleiten. Genauso sind Sie dazu verpflichtet, das Kindeswohl zu fördern und Kinder zu schützen. Lassen Sie nicht zu, dass unsere Jüngsten ihren oft langen Kinderalltag in Kitas verbringen, die aus allen Nähten platzen und unterpersonalisiert sind.
Liebe Landesregierung,
Sie sind stolz auf ein modernes, zeitgemäßes Kita-Gesetz mit einer durchgehenden Betreuung für alle Kinder. Die Betreuung aller Kita-Kinder über Mittag ist zeitintensiv und erfordert deshalb mehr Personal. Sie haben dieses Gesetz trotz eines bereits gravierenden Fachkräftemangels verabschiedet. Jetzt fehlt noch mehr Personal.
Liebe Landesregierung, etablieren Sie kindgerechte Rahmenbedingungen. Die Mindestanforderungen an eine gute pädagogische Qualität sind seit vielen Jahren definiert. Wenn Sie Personalschlüssel und Leitungsdeputate festschreiben, die weitab fachlicher Forderungen liegen, verhindern Sie eine kindgerechte Betreuungs- und Bildungsqualität. Als Landesregierung sind Sie außerdem für die Ausbildung von genügend Kita-Fachkräften verantwortlich. Sie sagen, dass es nun für alle die Möglichkeit geben soll, eine vergütete Erzieherausbildung zu beginnen. Das ist ein richtiger Schritt zur Gewinnung neuer Fachkräfte. Bauen Sie Fachschulen und Hochschulen so aus, dass wir in paar Jahren wieder genügend qualifizierte Kräfte in den Kitas haben.
Unterstützen Sie die Kommunen und Träger finanziell so, dass sie ihre Kitas mit allem ausstatten können, was für einen guten Kinderalltag notwendig ist.
Liebe Bundesregierung,
Kinderbetreuung ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Aktuell haben 73% aller Kita-Kinder keine kindgerechten Personalschlüssel in ihrer Einrichtung. Bauen Sie die finanzielle Unterstützung aus. Die Länder brauchen Ihre Unterstützung, damit jedes Kind in Deutschland gute Entwicklungschancen bekommt. Sie wollen ein Kita-Qualitätsgesetz verabschieden. Setzen Sie dort Qualitätsstandards, die diesen Namen verdienen. Sie haben ab 2026 einen Rechtsanspruch auf Ganztagesbetreuung in der Grundschule beschlossen. Auch dafür brauchen Sie Erzieher*innen. Ein Kita-Qualitätsgesetz mit besseren Rahmenbedingungen für die pädagogische Arbeit würde den Beruf attraktiver machen und verhindern, dass Fachkräfte das Berufsfeld verlassen oder früher in Rente gehen.
Liebe politisch Verantwortliche, hört auf, die Verantwortung auf den jeweils anderen Kita- Akteur zu schieben. Investiert in die Zukunft unserer Gesellschaft. Engagiert euch für kindgerechte Kitas!
Liebe Fachkräfte und Eltern, nehmt nicht hin, dass unsere Kitas zu Verwahranstalten verkommen. Bleibt dran und kämpft für bessere Rahmenbedingungen. Unsere Kinder sind es wert!
Die Forderungen sind gut und richtig. Mir fehlt etwas: Kinder im Alter von 2 bis 3 Jahren brauchen mehr Erzieherinnenzeit als ältere Kinder. Diese Tatsache wird seit dem 1.7.2021 ignoriert und das sollte deutlich gesagt werden. Kinder dieser Altersgruppe brauchen noch dringender kleinere Gruppen als Kinder über 3 Jahren. Sie sollte deshalb eigene Gruppen haben mit den Kindern im Alter von 1 bis 2 Jahren.
Insgesamt sollte die Gruppengröße thematisiert werden: 25 Kinder in einer Gruppe 3 bis 6-jähriger Kinder sind zu viel!