Auf wie viele Kita- Kinder muss eine Fachkraft „aufpassen“ können?

Personalisierung im Kontext von Konzeption und Kindeswohl

Unter der aktuell angespannten Lage der Kitas ergeben sich innerhalb der Kita-Teams, aber vor allem zwischen Leitung, Träger, Fachberatungen und Jugendämtern Diskussionen, wie der Maßnahmenplan der Einrichtungen greift und unter welchen Voraussetzungen es zu Einschränkungen der Öffnungszeiten kommen kann.

Eine vermeintlich logische Schlussfolgerung lautet: „Der Personalschlüssel für die Betreuung zwei-sechsjähriger Kinder ist 1:10. Also ist die Aufsichtspflicht immer gewährleistet und können die Betreuungszeiten aufrechterhalten werden, solange eine Fachkraft nicht mehr als 10 Kinder betreut.“

Das ist ein Trugschluss. Der Praxiskommentar zum KiTaG führt aus, dass die notwendige Fachkraft- Kind- Relation immer im jeweiligen Kontext des Kita-Alltags zu betrachten ist und konzeptionellen Überlegungen folgen muss. Alles, was in der Kita passiert, geschieht unter dem Vorbehalt des körperlichen, seelischen und geistigen Wohls der Kinder.

Der Praxiskommentar des rheinland-pfälzischen Kita-Gesetzes führt auf Seite 95 unter dem Punkt 6.2.3. Folgendes aus:

„In der pädagogischen Konzeption einer Einrichtung verbindet sich auch die rein rechnerische Ermittlung der erforderlichen Personalausstattung (vergl. Erl. 7.2. bis 7.2.5.) mit der inhaltlichen Arbeit einer Kita. Eine reine Summe an VZÄ sagt nämlich noch nicht, wie die Personen… täglich mit den Kindern pädagogisch arbeiten. Diese Schnittstelle zwischen den Quantitäten des Personalbemessungssystems und der pädagogischen Konzeption, die die inhaltliche Arbeit in einer Kita bestimmt und Bestandteil der Betriebserlaubnis nach § 45 SGB VIII ist, beschreibt § 21 Abs.5 KiTaG. Er gibt dem Kita-Träger auf, die ermittelte Anzahl an VZÄ in einem pädagogischen Konzept sinnvoll zu verarbeiten und mit den Personal- Mengen pädagogische Gruppenformen zu gestalten, die den Bedürfnissen der Kinder und der Gestaltung von altersheterogenen und entwicklungshomogenen Gruppenprozessen gerecht werden (vgl.LT-Drs. 17/8830, S. 45).

Pädagogisch-inhaltlich enthält § 3 Abs. 1 Satz 1 KiTaG zu §21 Abs. 5 KiTaG die in jeder Kita zu beachtende Zielvorgabe. Danach soll die Trias von Erziehung, Bildung und Betreuung in Tageseinrichtungen nicht nur die Förderung des einzelnen Kindes als Individuum in den Blick nehmen, sondern zugleich das soziale Eingebundensein des Kindes als Teil einer Gruppe berücksichtigen. Dem Spannungsgefüge von Individualität einerseits und sozialem Eingebundensein andererseits ist konzeptionell Beachtung zu schenken. Bei der Gestaltung pädagogischer Gruppen geht es daher auch um die notwendige Berücksichtigung von Peergroups, der sozialen Gemeinschaft der Kita als Ganzes und die Gestaltung von altersheterogenen und entwicklungshomogenen Gruppenprozessen (vgl. BEE, Kap. 6. 4) … Räumliche und personelle Betreuungsbedingungen müssen so geschaffen werden, dass diese den Kindern … intensive und stabile soziale Beziehungen zu den pädagogischen Fachkräften ermöglichen (§ 21 Abs. 5 Satz 2 KiTaG).“

 Hier nochmal das entsprechende Zitat direkt aus dem KiTaG §21 Absatz 5:

„…durch die Anzahl der vorgesehenen Plätze und die hierfür vorgesehenen Betreuungs-
zeiten müssen Betreuungsbedingungen geschaffen werden, die den Kindern
intensive und stabile soziale Beziehungen zu den pädagogischen Fachkräften
ermöglichen. Dies gilt insbesondere für Kinder bis zum vollendeten dritten
Lebensjahr.“

Für die Kita-Praxis wird durch diese Ausführungen Folgendes deutlich:

Wie viele Fachkräfte zur Betreuung, Bildung und Förderung der Kinder gebraucht werden, ist immer situationsabhängig und darf niemals losgelöst von pädagogischen und konzeptionellen Aspekten betrachtet werden.

Hier einige Beispiele:

  1. Eine Fachkraft bietet im Bewegungsraum Mitmachtänze an. 18 Kinder im Alter von 4-6 Jahren, die sich für das Angebot entschieden haben, machen begeistert mit, und alle haben Spaß. In dieser Situation beaufsichtigt eine Fachkraft 18 Kinder und macht ihnen ein Bildungsangebot. Die Aufsicht ist trotz der großen Kinderzahl in dieser Situation gewährleistet, wenn Kollegen/Kolleginnen in Rufweite sind (sollte etwas Unvorhergesehenes passieren) und die Fachkraft das Verhalten der Kinder sowie ihren Entwicklungsstand einschätzen kann.
  • In einer Kita wird in zwei Etappen gegessen. Zuerst essen die Kinder, die noch Mittagsschlaf halten. In der Regel sind diese Kinder zwei bis drei Jahre alt. Die meisten tragen noch Windeln, brauchen beim Essen viel Assistenz und eine vertraute Person, die sie beim Essen und anschließend in den Schlafraum begleitet. Um die Kinder hier bedürfnisorientiert zu begleiten, reicht es nicht aus, eine Fachkraft für 10 Kinder einzuplanen. Das gleiche gilt beispielsweise für die Zeit, wenn die Kinder beim Aufwachen, sich Anziehen und Ankommen im Gruppengeschehen begleitet werden.
  • Am Nachmittag müssen Gruppen zusammengelegt werden, da Personal fehlt. Für einige zweijährige Kinder, die noch auf ihre Bezugspersonen angewiesen sind, ist keine ihnen vertraute Fachkraft aufgrund von Personalausfällen mehr anwesend. Hier kann es geboten sein, dass diese Kinder nach dem Schlafen abgeholt und nicht einer Betreuungssituation mit vielen ihnen fremden Kindern und Erwachsenen ausgesetzt werden.

Welche Fachkraft-Kind Relation im Sinne der Kinder noch vertretbar ist, lässt sich demnach nie in starren Zahlen und Vorgaben bemessen. Auch in Bezug auf den Maßnahmenplan ist es von der jeweiligen Situation und dem pädagogischen Kontext abhängig, wann beispielsweise Betreuungszeiten eingeschränkt werden müssen.

In einem Erklärvideo zum KiTaG ( https://www.youtube.com/watch?v=nDR_Op47_8Y ) wird erläutert, dass die Personalisierung von 1:10 als Mischkalkulation zu verstehen ist. Zweijährige brauchen wesentlich intensivere Betreuung als Sechsjährige. Wie viel Personal eingeplant werden muss, ist je nach Aktivität, Situation im Tagesverlauf, Alter und Persönlichkeit der Kinder daher unterschiedlich.

Pauschale Aussagen wie „Für die Betreuung von 70 Kindern müssen 7 Betreuungspersonen reichen,“ widersprechen den gesetzlichen Vorgaben.

Wenn Öffnungszeiten eingeschränkt werden, haben Leitung und Kita-Team die Aufgabe, gegenüber Träger, Jugendamt und Eltern transparent darzulegen, aus welcher Situation heraus und unter welchen pädagogischen Überlegungen die Einschränkungen vorgenommen werden.

Eine gute Kommunikation, die auf fachlichen Grundlagen beruht, ist in Zeiten fehlender Plätze, struktureller Probleme und Fachkräftemangel unerlässlich, um das Wohl der Kinder zu gewährleisten. Eltern, Träger und Jugendämter sind wichtige Teile der Verantwortungsgemeinschaft, die auf die Rückmeldungen der Fachkräfte als Experten und Expertinnen des Kita-Alltags angewiesen sind.

                                                                                                                           

Geschrieben von: C. Theobald im März 2023

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