Da kann man nichts machen… Oder doch?

Als Erzieherin mit mehr als 30 Jahren Berufserfahrung macht mich der Kollaps unseres Kita-Systems immer noch fassungslos. Wie konnten wir es so weit kommen lassen, und warum wurden immer weiter (trotz fortschreitenden pädagogischen und entwicklungspsychologischen Wissens) faule Kompromisse bezüglich einer kindgerechten Kita-Qualität gemacht? Die Mantras der Fachkräfte: „Wir haben schon so viel geschafft, dann schaffen wir das auch noch“ und „Irgendwie muss es halt gehen“ funktionieren nicht mehr. Unserem gesetzlichen Auftrag nach Bildung, individueller Förderung und bedürfnisorientierter Betreuung der Kinder werden wir nicht mehr gerecht. Das überstrapazierte System bricht zusammen.

Zusammenbrüche haben in der Geschichte oft dazu geführt, die Dinge neu zu ordnen und aufzustellen. Als Fachkräfte ist unsere Verantwortung, Eltern, Trägen, Jugendämtern und politisch Verantwortlichen aufzuzeigen, was Kinder in Kitas brauchen, um sich gut entwickeln zu können und welche Aufgaben wir als Entwicklungsbegleiter*innen der Kinder haben. Die Expertise der Kita-Fachkräfte ist wichtig. Es macht keinen Sinn, sich zähneknirschend in scheinbar Unvermeidliches zu fügen und nach außen so tun, als sei die Kita-Welt für Erzieher*innen und Kinder in Ordnung.

Wir sind den schlechten Rahmenbedingungen nicht hilflos ausgeliefert. Grenzen zu setzen, zu entscheiden, was Priorität hat, und was hintenanstehen muss, sollte die tägliche Übung einer Kita-Fachkraft in der aktuellen Situation sein. Das geht nicht ein für alle Mal, sondern muss immer wieder in der jeweiligen Situation neu definiert und diskutiert werden.

Dazu ein fiktives Beispiel:

Wenn die Leitung nicht im Haus ist oder Pause hat, bekommt eine Erzieherin das Telefon, um alle Anrufe entgegenzunehmen, die ansonsten im Büro landen. Die Erzieherin merkt, dass dieser Telefondienst sie hindert, sich den Kindern zuzuwenden, auf ihre Bedürfnisse einzugehen, zu beobachten, zu beaufsichtigen, das Freispiel zu strukturieren oder pädagogische Angebote zu machen. Es ist ihre Entscheidung, ob sie sich diese Tätigkeit weiterhin neben ihrer eigentlichen Arbeit aufbürden lässt oder klarstellt, dass sie in der oben geschilderten Situation das Telefon nicht mehr übernehmen wird. Erst das Setzen von Grenzen macht die Suche nach besseren Lösungen notwendig. Es gibt fast immer die Möglichkeit, Dinge auch anders zu regeln und neue Wege zu gehen. Vielleicht könnte man feste Telefonzeiten einführen und eine Notfallnummer für wirklich dringende Telefonate, die unaufschiebbar sind, vergeben. Warum könnte ein Großteil der Kommunikation nicht über eine Kita-App erfolgen oder über Mails laufen? Was wäre mit einem Anrufbeantworter, der Nachrichten zu gewissen Zeiten entgegennimmt? Eine nachhaltige Lösung könnte auch eine zusätzliche Verwaltungskraft sein, die Leitung und Kita-Fachkräfte entlastet, damit sie sich auf ihre pädagogische Arbeit konzentrieren können.

Es liegt in der Natur der Sache, dass alles beim Alten bleibt, solange die Betroffenen alles mitmachen oder alles mit sich machen lassen. Im Gegenteil, man wird ihnen immer mehr aufbürden, denn bisher hatte es doch immer funktioniert und Widerspruch ist ausgeblieben. Die Probleme des Kita-Systems werden sich in den nächsten Jahren weder von allein noch durch das Improvisationstalent der Fachkräfte lösen lassen. Kitas in kindgerechter Qualität sind eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Im politischen Kontext braucht es das Engagement von Bund, Ländern, Kommunen und Trägern, um ein bedarfsgerechtes Angebot und eine gute pädagogische Qualität zu etablieren und zu finanzieren.

Verfasserin:

Claudia Theobald ist Erzieherin und arbeitet in einer rheinland-pfälzischen Kita. Als Vorsitzende des Kita-Fachkräfteverband RLP engagiert sie sich ehrenamtlich für kindgerechte Kita-Rahmenbedingungen.

2 Meinungen zu “Da kann man nichts machen… Oder doch?

  1. Ursula Bartels sagt:

    Hallo Frau Theobald,
    was Sie schreiben, trifft genau den Punkt der derzeitigen Situation. Ich möchte ein anderes Beispiel geben: in unserer Einrichtung fehlen seit etwa 4 Jahren Kita-Plätze. Das hat dazu geführt, dass mittlerweile angebaut wird. Dennoch kam die Planung viel zu spät und es ist für den Träger (3 kleine Dörfer) eine enorme finanzielle Belastung, denn die Fördermittel sind begrenzt. Nun erhob sich die Frage, was mit den Kindern passiert, die keinen Platz bekommen könnten. Es wurde die einfachste Lösung gewählt und mit einer Überbelegung (ich wähle extra dieses ehrliche Wort, obwohl ich weiß, dass es offiziell verschleiernd „Ausbauplätze“ genannt wird) reagiert, was dazu führt, dass unsere Gruppen mit 3 bis 4 Kindern zusätzlich – also 28 bis 29 Kindern – belegt werden. Hätte unsere Leitung möglicherweise darauf bestanden, gemeinsam mit dem Jugendamt andere Lösungen überdenken, wäre die Situation vielleicht anders entschieden worden. Nun ist zwar ein Ende des Desasters abzusehen, doch der Weg dorthin war für alle Beteiligten sehr steinig.

  2. Anke Dehlfing sagt:

    Beide Beschreibungen des Kita-Alltags sind wichtig. Zum Glück erlebe ich auch anderes: Wenn die Rahmenbedingungen nicht stimmen, werden auch keine Kinder betreut. D.h. es werden „Notfallmaßnahmen“ ergriffen und Kinder nach Hause geschickt, die eigentlich einen Platz haben. Oder es werden nur so viele Kinder neu aufgenommen, wie auch tatsächlich von den Fachkräften, die da sind, betreut werden können. So gestaltet sich der Kita-Alltag sowohl für die Fachkräfte, wie auch für die Kinder gut. Und für die, die ihre Kinder nicht betreuen lassen können, wird der Mangel erfahrbar und so langsam auch geäußert – so dass hoffentlich nach dauerhaft guten Lösungen gesucht wird.

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