Die „Entfachlichung“ der Erzieherinnen und Erzieher

Als Sie heute Morgen aufgestanden sind, haben sie bestimmt dem Bäcker zuerst einmal die neuesten Brötchenrezepte vorgestellt.

Anschließend ging es dann mit der Bahn zur Arbeit. Dort teilten sie dem Schaffner zuerst noch einmal die wichtigsten und effizientesten Möglichkeiten der Nutzung der Bahn mit.

Auf der Arbeit angekommen, wurde der Pförtner um eine bessere und strukturiertere Arbeitshaltung gebeten. Der Reinigungsdame wurde ein neues und natürlich besseres Hygienekonzept nahegelegt und erwartet, dieses zeitnah umzusetzen.

In Ihrem Betrieb angekommen, arbeiteten Sie als Fachkraft in dem Bereich, für den Sie ausgebildet wurden, ohne dass jemand Ihre Kompetenz in Frage gestellt hätte.  

Nach der Arbeit sind Sie zum Metzger gegangen. Hier teilten sie die neuesten Studien zur Einhaltung der Lebensmittelkühlkette mit und wollten praktische Ergebnisse sehen.

Während der nächsten Geschäftsreise per Flugzeug schlugen Sie dem Piloten eine kürzere Flugroute vor, um schneller von Frankfurt nach Berlin zu kommen.

Ja es stimmt, diese Beispiele sind absurd.

Wir tun gut darauf, auf die Fachkompetenz der Fachleute zu vertrauen. Die meisten Fachkräfte müssen sich in ihrem Beruf nicht ständig erklären und rechtfertigen oder bekommen Anweisungen von fachfremden Personen. In den meisten Branchen erkennt der Laie die Fachkompetenz der Fachleute an.

Doch wie sieht es in den KiTas aus?

Hier arbeiten vor allem Erzieher*innen, die eine fünf Jahre umfassende Ausbildung absolviert und eine staatliche Anerkennung erhalten haben. Teilweise arbeiten auch Akademikerinnen und Akademiker, die einen der Studiengänge im Bereich Bildung und Erziehung absolviert haben, in unseren KiTas.

In der Arbeit mit Kindern wird Fachlichkeit oft als nicht so wichtig angesehen. Das Bild unserer Gesellschaft vom Erzieherberuf lässt sich ungefähr so beschreiben: Weil jeder früher selbst Kind war, hat er auch Erfahrungen im Bereich der Kindheit. Spätestens wenn man selbst Vater oder Mutter ist, kann man in einer Kita arbeiten. Es ist ein lauter Job, aber wie man mit Kindern spielt, weiß doch so ziemlich jeder.

Die sogenannten „Schleckerfrauen“ sind auch ein Paradebeispiel für diese Denkweise. Vor ein paar Jahren standen viele Frauen der Drogeriemarktkette Schlecker auf der Straße. Es gab in dieser Firma keinen Job mehr. Da kam die Politik auf die naheliegendste Idee. Arbeitslose Frauen und Fachkräftemangel in der KiTa? Das passt doch wie die Faust aufs Auge, die Damen werden schnell umgeschult, arbeiten in der KiTa und allen ist geholfen…

Auch die Corona -Zeiten machen das Dilemma deutlich. 

KiTas sind systemrelevant, weil die Kinder einen Bildungsanspruch haben. Ohne KiTa kommt es bald zu Bildungslücken und Defiziten bei Kindern, wird auf der einen Seite argumentiert. Auf der anderen Seite scheint es egal zu sein, ob die Kinder mit dem gewohnten durchdachten Konzept und von vertrauten Erzieherinnen und Erziehern betreut werden.

Hauptsache, die gewohnten Öffnungszeiten werden beibehalten. Ist die Personaldecke dünn, finden sich vielleicht Hilfskräfte und eine Fachkraft pro Gruppe reicht sowieso.

Immer neue Corona-Maßnahmen werden von oben verordnet, ohne die Praxis zu fragen, wie es Kindern und KiTa-Mitarbeitern damit geht oder ob das überhaupt im Kita-Alltag machbar ist.

Warum werden die, die den Alltag in der KiTa mit großen Kindergruppen unterschiedlichen Alters aus der täglichen Arbeit kennen, so wenig gefragt und mit einbezogen?

Erzieher*innen kennen die Bedürfnisse der verschiedenen Kinder, und sie kennen die Familien, aus denen sie kommen. In die Überlegungen, wie der KiTa-Alltag in Corona-Zeiten aussehen und pädagogisch gestaltet werden kann, wurden und werden sie eher nicht mit einbezogen.

Dem KiTa-Personal wird regelmäßig für seine wertvolle und unentbehrliche Arbeit in schwierigen Zeiten gedankt.

Dass Kita-Fachkräfte Kritik äußern oder Vorschläge machen, wie die Arbeit in den KiTas in Pandemiezeiten sinnvoll gestaltet werden kann, wird nicht gern gesehen.

Schnell wird ihnen unterstellt, dass ihre Angst vor Ansteckung übertrieben sei oder sie einfach nicht bereit seien, die Kinder im gewohnten Umfang zu betreuen.

KiTa-Fachkräfte sind Experten für den KiTa-Alltag. Sie haben gelernt, die Entwicklung der Kinder in den KiTas zu begleiten, so gut wie das Räumlichkeiten und Personalschlüssel eben zulassen.

Was erwartet unsere Gesellschaft von den KiTas?  Geht es darum, die Kinder möglichst lange satt, sauber und sicher und vor allem kostengünstig, aufzubewahren. Oder sollen die Einrichtungen Lebensräume sein, in denen pädagogische Fachkräfte Bildungsprozesse anregen und die Entwicklung der Kinder individuell unterstützen?  Dafür braucht es vor Ort die entsprechenden Ressourcen. Erzieher*innen müssen in ihrer Fachlichkeit ernstgenommen und in Entscheidungen der KiTa-Politik mit einbezogen werden.

Oder anders gesagt, wieso treffen oft Verantwortliche aus Politik, Verwaltung oder von der Trägerebene ohne Qualifizierungen und wirklichen Einblick in den KiTa-Alltag die maßgeblichen Entscheidungen?

Um auf die Bilder vom Anfang zurückzukommen:

Erzieher*innen sind Experten für KiTa-Arbeit und den KiTa-Alltag.

Sie wissen, was praktikabel ist. Sie wollen Dinge gemeinsam entwickeln und nicht nur Anweisungen befolgen, die ihnen übergestülpt werden.

Fachkräfte besitzen Fachkompetenz. Das gilt auch für Erzieher*innen in KiTas!

Kristin Starck-Fürsicht, KiTa-Leitung in RLP

2 Meinungen zu “Die „Entfachlichung“ der Erzieherinnen und Erzieher

  1. Susanne Klein sagt:

    Meine Tätigkeit als staatl.anerkannte Erzieherin ist nun schon eine geraume Zeit her,trotzdem bin ich erschüttert ,dass immernoch die ähnlichen Diskussionen stattfinden.Die zuständigen Behörden ,Verbänd ,Gewekschaften usw haben es immer noch nicht umsetzen können was schon lange ,von den an der Basis tätigen Frauen und Männer gefordert wurde .Mehr qualifiziertes Personal einzustellen.Manches wäre so einfach ,wenn man mal über den Tellerrand schauen würde ,betrifft unser ganzes Bildungswesen,was macht zum Beispiel Finnland besser ?Alle sind dort nach der ersten Pisastudie hingeeilt ,passiert ist nichts.Es fängt schon bei den Gebäuden an ,in Finnland spürt man schon ,sobald man eine Kita betritt die Wertschätzung die allen entgegengebracht wird .Dies fängt bei durchdachten Raumkonzepten an und hört bei der täglichen kompetenten Fürsorge auf .ich frage mich immerzu,wieso bekommen wir es nicht genauso hin ?Die Antwort lautet ,Ignoranz,fehlende Wertschätzung ,falsche Konzepte ,keine vernünftigen Diskussionen die zielführende Ergebnisse hervorbringen,Kompetezgerangel,alles oft erlebt.Es geht nie um die Kinder !Könnte man mit Kitas an die Börse ,dann würden sich Bänker ,Politiker ,Wirtschaftskremien kümmern ,hinzu kommt ein ganz schlechtes Image der Erzieher !Ich hatte nicht schlecht gestaunt als es plötzlich in der Pandemie hieß:Erzier ein systemrelevanter Beruf ,Gratulation !Wem ist dies denn so plötlich eingefallen .So ,nun beende ich mal meine Bemerkungen.Danke noch für den Artikel in der Zeitung Frau Kreul ,ich musste schreiben ,denn dies spiegelt unsere gesamten Probleme wieder.

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