Albert Schweitzer Kita in Kusel von massivem Stundenkürzungen betroffen
Frau Schillo-Kastenmeier leitet seit 2003 die evangelische KiTa Albert Schweitzer in Kusel. Die Einrichtung liegt im Stadtteil Holler, wo die Menschen mit vielfältigen sozialen und ökonomischen Problemen belastet sind. Besonders für die Kinder im Wohngebiet bedeutet dieses, dass ihre Bildungschancen und ihre psychische Gesundheit in Gefahr sind. Gut zwei Drittel der Kindergartenkinder kommen aus benachteiligten Familien, die von Hartz IV leben. Kinder vieler verschiedener Nationen, unterschiedlicher kulturelle Prägungen, aber auch mit Fluchterfahrungen, besuchen die Albert Schweitzer KiTa. Die Zusammenarbeit mit den Familien und die Förderung der Kinder waren von Beginn an Schwerpunkte. Wegen ihrer vorbildlichen Kita-Sozialarbeit und pädagogischen Qualität, wurde die Einrichtung 2021 für den deutschen Kita-Preis nominiert.
Für die Einrichtung mit 55 Plätzen fallen nun aufgrund des neuen Kita-Gesetzes 68,5 Personalstellen weg. Das sind mehr als 1,5 Stellen! Stunden für interkulturelle Fachkräfte, Sprachförderung und soziale Arbeit im Brennpunkt werden gestrichen.
„Wir können die Qualität nicht mehr aufrechterhalten und werden den vielfältigen Bedürfnissen unserer Kinder aus schwierigen Verhältnissen nicht mehr gerecht,“ da ist sich Frau Schillo-Kastenmeier sicher.
„In den vergangenen 18 Jahren ist so viel Vertrauen auf Seiten der Familien gewachsen. Unsere KiTa hat Benachteiligung ausgleichen und zur Chancengleichheit beitragen können. Das wird nicht mehr möglich sein, wenn wir trotz der zusätzlichen Aufgabe, alle Kinder über Mittag zu verpflegen und zu betreuen, 68,5 Personalstunden weniger zur Verfügung haben,“ berichtet die engagierte Leitung.
Frau Schillo-Kastenmeier kann und will diese massive Verschlechterung nicht akzeptieren. „Die Qualität unserer Arbeit wird leiden und den betroffenen Familien und Kindern dringend benötigte Hilfe vorenthalten.“
Keiner KiTa wird es schlechter gehen. Mit diesem Slogan wurde das neue KiTa-Gesetz im Vorfeld beworben und jede kritische Erzieherstimme beschwichtigt.
Das es durch die neuen Vorgaben sehr wohl zu deutlichen Verschlechterungen kommen kann, zeigt das Beispiel der Albert Schweitzer Kita im Stadtteil Holler in Kusel.
Claudia Theobald, die Vorsitzende des KiTa-Fachkräfteverbandes RLP hat mit Frau Schillo-Kastenmeier ein Interview zum Thema geführt:
Frau Schillo Kastenmeier, als Mitglied unseres Verbandes haben Sie uns gebeten, Ihre Geschichte öffentlich zu machen. Was sind Ihre Beweggründe?
Seit 2003 leite ich die Albert Schweitzer Kita in Kusel. 2006 startete ich mit dem zu der Zeit noch jungen, berufsbegleitenden Studiengang „Bildungs- und Sozialmanagement- Schwerpunkt frühe Kindheit“ an der Hochschule Koblenz. Damals war in der Kita- Welt eine Aufbruchstimmung zu spüren. Kitas sollten zu hochwertigen Bildungseinrichtungen werden. Viele engagierte Fachkräfte machten sich damals auf den Weg, die Qualität in der frühkindlichen Bildung voranzubringen. In den folgenden Jahren habe ich mich zur Elternberaterin und in systemischer Beratung weitergebildet. Ich liebe den Erzieherberuf und bin stolz auf die Arbeit in meiner Kita. Es war wundervoll, bisher so vieles gestalten und zum Besseren für die Kinder und ihre Familien verändern zu können.“ Durch die Rahmenbedingungen des Kita-Zukunftsgesetzes wird das in Zukunft so nicht mehr möglich sein.
Was sind die Besonderheiten Ihrer KiTa?
Obwohl Kusel ein kleiner Ort in ländlicher Umgebung ist, liegt die Albert-Schweitzer Kita in einem Wohngebiet mit vielfältigen sozialen Problemen, dem Holler. Gut zwei Drittel unserer Kinder kommt aus Familien, die von Hartz IV leben. Viele verschiedene Nationen, Sprachen und kulturelle Prägungen begegnen sich täglich in unserer Einrichtung. In den letzten Jahren haben wir auch viele Kinder mit Fluchterfahrungen dabei. Wir begleiten die Familien eng und individuell. In Zusammenarbeit mit einer Sozialarbeiterin vermitteln wir Hilfsangebote, wie Therapien und Fördermöglichkeiten für die Kinder. Wir sorgen beispielsweise dafür, dass Eltern und Kind bei Arztbesuchen oder diagnostischen Verfahren begleitet werden oder auch Hilfe beim Ausfüllen von Anträgen erhalten. Elterngespräche und Elternberatung sind weitere Schwerpunkte. Unsere gesamte pädagogische Arbeit ist von hoher pädagogischer Qualität geprägt. Deshalb waren wir 2021 als eine von zwei rheinland-pfälzischen Kitas für den deutschen Kita-Preis nominiert.“
Wie sieht die qualitativ hochwertige Arbeit im Kita-Alltag bei Ihnen in der Einrichtung aus?
Ich habe ein sehr engagiertes Team, das trotz schon bisher knapper zeitlicher Ressourcen die einzelnen Kinder im Blick hat. Wir analysieren mit Hilfe von Videografie und den Lerndispositionen von Margaret Carr in regelmäßigen Fallbesprechungen die Entwicklung jedes einzelnen Kindes. Auf dieser Grundlage fördern und begleiten wir die Kinder individuell, dokumentieren ihre Entwicklung in einem Portfolioordner und führen regelmäßige Gespräche mit den Eltern über den Entwicklungsstand ihres Kindes. Sprachförderung ist natürlich auch ein Schwerpunkt. Seit 2011 sind wir ohne Unterbrechung teilnehmende Kita an den Bundesprogrammen „Schwerpunktkita Sprache und Integration“ und „Sprachkita“ Meine Fachkräfte sind für das Thema Sprache sensibilisiert und nehmen diese Aufgabe sehr ernst. Fünf Erzieherinnen haben sich schon mit der Fortbildung BISS (Bildung durch Sprache und Schrift) weiter qualifiziert. Die enge Zusammenarbeit mit den Familien ist zeitintensiv, aber lohnend, weil sich dadurch vieles für die Kinder zum Besseren verändert. Bisher habe ich es durch gutes Management geschafft, dass jeder Fachkraft meiner Einrichtung mittelbare Arbeitszeiten zur Vor- und Nachbereitung regelmäßig zur Verfügung standen und im Dienstplan verankert waren. Das wird unter den Rahmenbedingungen des neuen Gesetzes nicht mehr möglich sein. Die pädagogische Qualität unserer Arbeit wird massiv leiden.
Welche Auswirkungen haben die neuen Rahmenbedingungen auf Ihre Kita?
Da im Sozialraum unserer Kita viele Familien in prekären Verhältnissen leben, bekamen wir bisher zusätzliche personelle Unterstützung in Form von interkulturellen Fachkräften und Sprachförderkräften. Wir hatten außerdem ein Zeitkontingent, um für unsere Kinder und Familien Sozialarbeit zu leisten und mit einer Sozialarbeiterin zu kooperieren. Um qualitativ gute Arbeit in unserer Kita zu leisten, ist eine angemessene Personalisierung unerlässlich. In Zukunft haben wir durch die durchgehende Betreuung mit Mittagessen für alle Kinder mehr Aufgaben, bekommen aber weniger Personal. 10 Stunden wurden jetzt schon gekürzt und weitere 58,5 Personalstunden verlieren wir am Ende dieses Kindergartenjahres. Wo uns bisher 12 Kräfte zur Verfügung standen, müssen wir in Zukunft den Kita- Alltag trotz der neuen zusätzlichen Aufgaben mit 10 Kräften stemmen. Das ist ein riesiger Rückschritt. Unsere Arbeit verschiebt sich von einer an den Bedürfnissen der Kinder orientierten Frühpädagogik hin zu Betreuung und Verwahrung. Es wird nicht mehr möglich sein, mittelbare Arbeitszeiten im Dienstplan zu verankern. Auch für meine Leitungstätigkeit ist die Freistellung zu knapp bemessen. Viele Dinge muss ich als Leitung einfach tun, obwohl mir dafür offiziell keine Stunden zur Verfügung stehen. Diese Zeit fehlt dann wieder für meine Arbeit mit den Kindern.
Die Konzeption einer KiTa muss ständig angepasst und weiterentwickelt werden. Aktuelle neue Aufgaben für die Einrichtungen sind zum Beispiel die Erstellung eines institutionellen Schutzkonzeptes oder die Etablierung des neuen Kita-Beirats und einer Fachkraft für Kinderperspektiven. Dafür werden keine Zeiten zur Verfügung gestellt. Das soll alles nebenher im Alltag laufen, was natürlich in der Praxis nicht möglich ist.
Frau Schillo- Kastenmeier, wie geht es Ihnen persönlich damit, dass so vieles, was Sie über Jahre mit Engagement aufgebaut haben, nun in Frage steht?
Unter den neuen Bedingungen möchte ich nicht arbeiten. Obwohl ich 58 Jahre alt bin und nun seit 18 Jahren meine Albert Schweitzer Kita geleitet habe, überlege ich, dem Berufsfeld Kita den Rücken zu kehren und mich nach einer alternativen Tätigkeit umzusehen. Die schlechten Rahmenbedingungen führen bei vielen KiTa-Fachkäften zu Frust, Müdigkeit und einer immer stärker werdenden Flucht aus dem Beruf.
Ich habe mit Begeisterung, Engagement und einem tollen Team diese Kita zu dem gemacht, was sie heute ist. Mein Herz hängt an dieser Arbeit, weil sie sinnvoll und wichtig ist. Die Kita hat für das Leben unserer Familien und Kinder einen Unterschied gemacht. Das alles ist nun in Gefahr.
Sehen Sie eine Möglichkeit, dass sich für Ihre Kita noch etwas zum Guten wenden könnte?
Gesetze sind nicht in Stein gemeißelt. Sie können verändert und angepasst werden. Meine Hoffnung war, dass über das neu geschaffene Sozialraumbudget den besonderen Bedarfen unserer Kita Rechnung getragen würde. Leider wurde ich als Leitung nicht in die Planungen des Kreises diesbezüglich mit eingebunden. Und das Ergebnis von 68,5 gekürzten Stunden ist niederschmetternd.
Ich will mich noch nicht geschlagen geben und gehe an die Öffentlichkeit. Ich spreche mit Verantwortlichen aus dem Kita-Bereich und Politiker*innen über die Probleme und Missstände.
Wir dürfen Kitas nicht als Kostenfaktoren betrachten. Sie sind Investitionen in die Zukunft. Was wird aus benachteiligten Kindern, die nicht gut aufgefangen, begleitet und gefördert werden? Was wir in den ersten Jahren versäumen, kann später nur mit größerem Aufwand und höheren Kosten ausgeglichen werden.
Deshalb gibt es nur eine gute Lösung. Die im Gesetz vorgesehenen Personalschlüssel müssen deutlich verbessert werden. Und das Sozialraumbudget muss in Zukunft so bemessen werden, dass es den Bedarfen vor Ort, gerade auch in den Brennpunkten, gerecht wird.
Vielen Dank für das Gespräch!
Ich habe mehrere Jahre in dieser Kita gearbeitet, mich als Sprachförderkraft und Interkulturelle Fachkraft weiterbilden lassen und verstehe den Frust von Frau Schillo-Kastenmeier. Dieses Haus arbeitet (wie einige wenige andere mittlerweile auch) nach besten pädagogischen Konzeptionsinhalten, die Familien im ganzen berücksichtigen und den Kindern nicht nur „reden und schneiden“ beibringen, sondern beispielsweise Resilienzförderung zur Schul-Vorbereitung machen. Diese Arbeit wird unter den neuen Bedingungen extrem leiden! Als Mitglied des verantwortlichen Presbyteriums war ich ehrlich geschockt, als ich hörte, dass unsere beiden Kitas in Kusel 2,5 Stellen verlieren werden. -Katastrophe!!!! Meine Bitte an zuständige verantwortliche Politiker: überdenken sie dieses Vorgehen! Zu vieles wurde in den letzten Jahren im sozialpädagogischen Bereich durch Gesetze oder falsche Auslegungen derselben verschlimmbessert (zB bei der Schließung oder Reduzierung von sonderpäd. Schulplätzen wegen des undurchdacht umgesetzten Inklusionsansatzes in Regelschulen). Fragen Sie doch die Frauen und Männer der multiprofessionellen Teams, die gute Arbeit vor Ort machen!