Der Artikel wurde auf Focus Online veröffentlicht und ist hier zu finden (externer Link): „Tausende Erzieher fehlen für unsere Kleinsten“
Sehr geehrte Damen und Herren,
mit Interesse habe ich als Erzieherin Ihren Artikel „Tausende Erzieher fehlen für unsere Kleinsten“ gelesen. Dazu möchte ich ergänzend den Blickwinkel einer Fachkraft aus der täglichen Praxis mit einbringen.
Gerade letzte Woche habe ich mit einer jungen Frau namens Lisa* gesprochen, die sich als Sozialassistentin gegen die Ausbildung zur Erzieherin entschieden hat und lieber soziale Arbeit studiert. Das tut Lisa mit einem gewissen Bedauern, da sie eigentlich gerne mit jungen Kindern arbeiten würde. Die Praktika in verschiedenen KiTas haben die junge Frau weder ermutigt noch begeistert, sondern abgeschreckt. “Unter diesen Bedingungen will ich nicht arbeiten,“ da ist sie sich sicher. „Alle rödeln. Und in den großen Gruppen ist es laut. Für pädagogische Angebote ist viel zu wenig Zeit da. Abends hatte ich oft das Gefühl, dass meine Tätigkeit hauptsächlich aus An- und Ausziehen, Wickeln, beim Essen helfen und Aufräumen bestand. Deshalb studiere ich lieber soziale Arbeit.“ Lisa hatte auch überlegt, einen Studiengang für frühkindliche Bildung zu belegen, aber dann würde sie ja hinterher eventuell auch in der KiTa landen. Und das ist eben keine Option mehr für sie.
Als Erzieherin mit über 30 Jahren Berufserfahrung, schmerzen mich diese Gespräche, die ich immer häufiger führe. Wo früher Schüler nach zweiwöchigem Praktikum mit leuchtenden Augen verkündigten, dass sie Erzieher*innen werden wollen, kommt heute oft die trockene Antwort:“ War eine interessante Erfahrung hier. Jetzt weiß ich, das ist nichts für mich.“ Die Gründe sind fast nie die Bezahlung oder fehlende Karrierechancen, sondern schlicht die miserablen Rahmenbedingungen in unseren KiTas. In den letzten 20 Jahren wurde der quantitative Ausbau massiv vorangetrieben. Kinder werden immer länger und in immer jüngerem Alter betreut. Personalschlüssel, Gruppengrößen und oft auch Räume wurden nie adäquat an die neuen Aufgaben angepasst. Dadurch haben sich für Kinder und KiTa-Fachkräfte die Rahmenbedingungen im Alltag kontinuierlich verschlechtert.
Die Entwicklung der ersten Lebensjahre eines Kindes zu begleiten, ist eine faszinierende Aufgabe. Nie mehr findet soviel Veränderung und Fortschritt im Leben eines Menschen statt. Die Möglichkeiten, um Fragen aufzugreifen, Impulse und Anregungen zu geben, gemeinsam zu staunen und zu lachen, sind unendlich. Genau dazu kommen wir KiTa-Fachkräfte aber immer weniger. Ich sehe darin den Hauptgrund, dass weniger junge Leute diesen Weg einschlagen oder nach einigen Jahren praktischer Arbeit in der KiTa, das Handtuch werfen.
Wenn Politik und Gesellschaft nicht bereit sind, unseren Kindern einen kindgerechten Kita-Alltag mit guter pädagogischer Qualität zu gewährleisten, werden bessere Bezahlung und Karrieremöglichkeiten das Problem nicht lösen. An erster Stelle brauchen wir KiTas, bei denen die pädagogische Arbeit im Mittelpunkt steht und die Zeit für Beziehung, Entwicklung und Bildung bietet.
*Name geändert
Mit freundlichen Grüßen
Claudia Theobald
(Vorsitzende VERBAND KITA-FACHKRÄFTE RHEINLAND-PALZ)