Aus rheinland-pfälzischer Sicht: Senkung von Kita-Standards in Bayern – Es geht uns alle an!

Was Bayern gerade für seine Kitas beschließen will, ist unglaublich. Das geht uns alle an, denn es ist zu befürchten, dass andere Bundesländer sich hier ein Beispiel nehmen. Die Probleme in Rheinland- Pfalz sind ganz ähnlich gelagert. Unsere Vorsitzende hat einen Brief an die Ministerin geschrieben, um die sehr deutliche und gut argumentierte Pressemitteilung des bayrischen Kita-Fachkräfteverbands https://verband-kitafachkraefte-bayern.de/…/fileservlet… zu unterstreichen und deutlich zu machen, dass Kinderbetreuung uns alle angeht.

Die Kolleginnen/Kollegen freuen sich über Unterstützung ihrer Mitmachaktion zum Thema  https://www.youtube.com/watch?v=YAORDSElnKA .


Sehr geehrte Frau Familienministerin Scharf!

„Die bayrischen Familien brauchen eine verlässliche Kita-Betreuung“ sagen Sie in der Pressemeldung Ihres Ministeriums vom 30.8. 2022.

Wer wollte hier widersprechen? Kinderbetreuung ist schließlich das Fundament des modernen Familien- und Arbeitslebens. Dafür müssen ihrer Meinung nach eben qualitative Abstriche gemacht werden und alle Kita-Akteure nun gemeinsam ihre Aufgaben beherzt angehen, so Ihr Appell.

Nun, ich lebe nicht in Bayern, sondern arbeite als Erzieherin in Rheinland-Pfalz. Ihr Statement geht mich trotzdem etwas an. Auch in RLP kämpfen die Kitas mit schlechten Rahmenbedingungen, zu denen nun noch ein gravierender Fachkräftemangel kommt. Wie viele Bundesländer werden sich an Ihren Ideen ein Beispiel nehmen? Sollen vielleicht auch in Rheinland-Pfalz noch mehr Kinder von weniger qualifizierten Personal betreut werden und die Kitas noch enger zusammenrücken, um eventuell im Bewegungsraum eine zusätzliche Gruppe zu beherbergen?

Ihrem Appell an die Kita-Akteure möchte ich als Erzieherin unbedingt folgen und hoffe, dass in allen Bundesländern auch die Kita-Fachkräfte beherzt ihre Aufgaben angehen.

Als Kita-Fachkraft habe ich viele Aufgaben. Ausnahmslos alle habe ich so anzugehen, dass ich unter allen Umständen meiner Aufsichts- und Fürsorgepflicht nachkomme, das Kindeswohl auf keinen Fall gefährde und die soziale, emotionale, körperliche und geistige Entwicklung jedes einzelnen Kindes fördere. Das ist mein gesetzlicher Auftrag.

Haben Sie mal darüber nachgedacht, wo im Kita-Alltag die Grenzen verlaufen, damit den Bedürfnissen der Kinder noch Rechnung getragen werden kann?

Mich und meine Kolleginnen/ Kollegen beschäftigt diese Frage Tag für Tag. Die massiven Probleme sind wahrlich nicht über Nacht gekommen. Bereits vor vielen Jahren wurden fachliche Mindeststandards für Personal und Räumlichkeiten formuliert und genauso lange von der Politik immer wieder in den Wind geschlagen.

Wenn Sie die Absenkung qualitativer Standards fordern, geht es nicht um ein gutes Niveau, bei dem man etwas ab und zu geben muss, weil die Zeiten schwierig sind.

Die Personalschlüssel in deutschen Kitas sind nicht kindgerecht. Als Gesellschaft nehmen wir hin, dass unsere Kinder Bedingungen in den Kitas vorfinden, unter denen Förderung, Bildung und bedürfnisorientierte Betreuung nur sehr eingeschränkt leistbar sind. Auch für Fachkräfte, die ihre Arbeit mit viel Herzblut tun.

Vielleicht ist das, was ich bisher schrieb, immer noch recht abstrakt für Sie. Ich weiß nicht, wie viel Zeit Sie schon im ganz normalen Kita-Alltag zugebracht haben. Vielleicht helfen ein paar konkret- anschauliche Einblicke, was geschieht, wenn eine Fachkraft zu viele Kinder betreuen muss.

Dann kommt es leider vor, dass:

  • Kinder in ihrer vollen Windel sitzen bleiben, weil es nicht möglich ist, zum Wickeln zu gehen.
  • Kinder nicht genug Hilfestellung beim Mittagessen erhalten.
  • keine Zeit zum Streitschlichten und Trösten bleibt.
  • ein Kindsein sein Lieblingsbuch nicht vorgelesen bekommt und wieder und wieder vertröstet wird.
  • die Kinder nicht an die frische Luft kommen, weil nicht genug Hände da sind, um Stiefel, Jacken, Mützen und Handschuhe anzuziehen.
  • der Mittagsschlaf ausfällt, weil keiner die Aufsicht führen kann.
  • leider die Projektzeit mit den Vorschulkindern ausfallen muss, auf die sich alle so gefreut haben.
  • Ausflüge gestrichen werden.
  • Entwicklungsgespräche ausfallen, weil keine Zeit zur Vorbereitung und Durchführung bleibt.
  • wenig Zeit da ist, um mit Kindern zu sprechen, auch wenn einige hier besondere Förderung bräuchten.
  • der Ton rauer wird und der Geduldsfaden kürzer.

Und so weiter und so fort…

Sieht so gute frühkindliche Bildung und individuelle Förderung aus? Gewährleisten wir Kindern unter solchen Bedingungen Geborgenheit, Sicherheit und Verlässlichkeit?

Sehr geehrte Frau Scharf, vielleicht glauben Sie, dass ich übertreibe oder es sich bei meinen Beschreibungen um bedauerliche Einzelfälle handelt. Es ist leicht zu überprüfen, wie realistisch meine Schilderungen sind. Gehen Sie einfach regelmäßig mit Kita-Fachkräften ins Gespräch. Fragen Sie konkret, ob Kolleginnen und Kollegen meinen, ihrem Betreuungs- und Bildungsauftrag unter den vorgesehenen Rahmenbedingungen gerecht werden zu können. Machen Sie sich deutschlandweit auf die Suche nach Frühpädagogen und Erziehungswissenschaftlerinnen, die die Personalschlüssel in deutschen Kitas für kindgerecht halten. Sollten Sie fündig werden, wäre ich an einem Kennenlernen sehr interessiert.

Zum Abschluss möchte ich nochmal auf ihren Anfangssatz zurückkommen. Ja, Eltern brauchen eine verlässliche und bedarfsgerechte Kita-Betreuung. Genauso brauchen Kinder kindgerechte Rahmenbedingungen. Beide Ziele sind politisch nicht erreicht.

Es muss jedoch gesellschaftlicher Konsens sein, dass Kinder nicht unter prekären Bedingungen betreut werden.

Mit freundlichen Grüßen

Claudia Theobald

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