Gedanken aus der Praxis

Wieder hat uns eine Erzieherin gebeten, ihre Gedanken zu den neuen Corona-Regeln zu veröffentlichen. Wir finden es toll, dass so viele Menschen derzeit aufstehen, laut werden und ihre Meinung sagen. Noch mehr helft ihr dabei, indem ihr den Verband wachsen lasst: Je mehr wir sind, desto weniger kommt die Politik an uns und EUREN Anliegen vorbei!

Also: SEID DABEI!

Als ich die neuen Quarantäne- bzw. keine-Quarantäne-Regelungen für Kitas in Rheinland-Pfalz gelesen habe, war ich ehrlich geschockt. Ich konnte kaum fassen, dass das die Realität sein soll, die wir ab kommender Woche in der Kita leben. Jemand in der Gruppe wurde positiv getestet? Kein Problem! Einfach kurz zum Schnelltest und am nächsten Tag geht die Partie „Risiko“ für alle (noch) negativ getesteten in die zweite Runde. Bis der Nächste Symptome entwickelt. Oder natürlich auch nicht – schließlich wäre eine weitere Verbreitung dadurch noch viel besser gewährleistet! Es macht mich unheimlich wütend und auch traurig, dass sowohl in der Politik als auch im öffentlichen Diskurs kaum an die Kinder in der Kita, aber vor allem auch an die pädagogischen Fachkräfte gedacht wird.

Auf meiner Fahrt zur Arbeit lausche ich früh morgens der Diskussion der Radiomoderatoren, die anmerken, wie RISIKOREICH doch das neue Vorgehen an Schulen ist, wo die Kinder nicht mehr in Quarantäne müssen, sondern sich nach einem Kontakt an NUR FÜNF TAGEN IN FOLGE testen! Und in meinem Kopf entsteht ein Bild von einer Schulklasse, die mit Abstand und Maske in einem wahrscheinlich fast ZU gut belüfteten Raum sitzt, womöglich sind sogar einige der Schüler bereits geimpft. Und dann komme ich in der Kita an, wo sich 50 wunderbare Kinder im Alter von 3-6 Jahren auf einen Tag voller Erlebnisse, spannender Lernerfahrungen, ausgelassenem Spiel und Spaß freuen. Alle zusammen in der Großgruppe versteht sich, denn trotz der enorm hohen Zahlen befinden wir uns weiterhin im Regelbetrieb. Hier macht man sich keine Gedanken über Abstände, man spielt, man lacht, man isst zusammen, man tröstet, man trocknet Tränen und kuschelt miteinander. Das volle Programm – Fürsorge, Zuwendung, Pflege, Geborgenheit und Unterstützung – in allen Lebenslagen. Eben das, was Kinder in dem Alter brauchen und auch verdienen. In manchen Momenten vergisst man die Pandemie fast. Bis das Kind, welches einem gegenüber sitzt, einmal kräftig und unvermittelt über den Tisch niest. Dann kommt der Gedanke an die Realität kurzfristig zurück (ein guter Anlass, um mal wieder zu lüften..) Und ausgerechnet jetzt, in Zeiten mit nie dagewesenen Infektionszahlen, denkt sich die Politik „Hey, es wäre doch bestimmt eine sinnvolle Idee, die Kinder nach einem Kontakt lediglich einmalig am gleichen Tag zu testen und sie dann wieder mit vielen anderen Leuten in ein lustiges neues Kita-Abenteuer zu schicken!“ Aber Moment mal.. Omikron, war das nicht die eine Mutante, die so extrem ansteckend ist? Und was ist eigentlich mit dem anderen Ding, wie hieß das noch gleich – ach ja, Inkubationszeit!? Wie wir alle mittlerweile gelernt haben, kann es manchmal Tage dauern, bis Symptome auftreten. Ist scheinbar mittlerweile überholt. Und der Gesundheitsschutz? Wohl ein Fremdwort in dieser Phase der Pandemie, wo so eine richtig schöne und umfassende Durchseuchung der Kita-Gruppen scheinbar mehr als erwünscht ist. Der Gesundheitsschutz der Kinder wie auch der Mitarbeiter fehlt mir in dieser neuen Vorgabe vollkommen. Und natürlich macht es mich auch persönlich betroffen, wie geringschätzig mit den Fachkräften der Einrichtungen umgegangen wird.

Wir haben in den letzten zwei Jahren alles dafür getan, um den Alltag für die Kinder so unbeschwert wie möglich zu gestalten. Wir haben uns eigenständig Lösungen ausgedacht, um die Vorgaben der Politik zu jeder Zeit umsetzen zu können und den Hygienekonzepten in Pandemiezeiten Rechnung zu tragen. Wir haben uns im privaten Bereich stark eingeschränkt, um das Risiko für unsere Schützlinge so gering wie möglich zu halten. Wir haben von Anfang an, trotz Ängsten und persönlicher Sorgen, unser Bestes gegeben, um vor allem unsere wichtigste Aufgabe zu erfüllen – für die Kinder da zu sein.

Viele aus meinem Team, inklusive mir, haben sich Anfang 2021 innerhalb der Kita mit Corona infiziert und haben wochen-, teilweise sogar monatelang gebraucht, um wieder weitestgehend fit und leistungsfähig zu werden. Durch die frühe Ansteckung (vor der Priorisierung, also ohne vorherigen Impfschutz) spüren viele von uns bis zum heutigen Tag, dass die Erkrankung etwas mit uns macht. Mit unserer Energie, unserem Gedächtnis, unserer physischen und psychischen Verfassung. Und trotz alledem sind wir nun wieder diejenigen, die zurückstecken. Die scheinbar kein Recht haben auf Sicherheit am Arbeitsplatz oder Wertschätzung und Fürsorge seitens der Politik. Wieder sind wir es, die als selbstverständlich angesehen werden, die zu funktionieren haben. Die in den Medien neben all den Lehrern und Kindern in den Schulen nur in Nebensätzen genannt werden, obwohl wir das größere Risiko tragen. Die von der Politik im Stich gelassen werden. Solange der Laden läuft, muss man sich ja keine Gedanken darum machen. Was viele dabei nicht bedenken ist, dass es für die Gewährleistung der Betreuung keinen Plan B gibt, sobald ein Großteil der Fachkräfte einer Einrichtung infiziert und im schlimmsten Fall auch krank zu Hause sitzt. Dann ist das Geschrei wieder groß. Erst dann merkt wohl auch der letzte, dass ohne GESUNDE Fachkräfte vor Ort gar nichts geht. Warum sorgt man also nicht vor mit einer vernünftigen und einheitlichen Teststrategie, wie sie in anderen Bundesländern längst vorgelebt wird? Oder auch nur mit der Anpassung an die Vorgaben der Schulen? Nach positivem Kontakt 5 Tage lang täglich testen. Wo ist das Problem? Ein solches Vorgehen würde etwas mehr Sicherheit und damit auch Wertschätzung für alle pädagogischen Fachkräfte bedeuten. Es wäre eine Geste, die verdeutlichen würde, dass wir und unsere Gesundheit auch wichtig sind.

Ich liebe meinen Job von Herzen. In der Arbeit mit Kindern bekommt man so viel zurück und ich bin dankbar, eine so erfüllende Tätigkeit auszuüben. Ich bemühe mich jeden Tag, allen in der Kita mit einem Lächeln zu begegnen und das Beste aus jedem Tag zu machen. Durch die aktuellen Entwicklungen spüre ich jedoch von Tag zu Tag mehr, wie sich negative Gefühle wie Wut, aber vor allem Hilflosigkeit in mir breit machen. Ich fühle mich, wie viele pädagogische Fachkräfte im Land, übergangen und ausgeliefert. Meine Kollegin fragte mich heute: „Wo ist dein Strahlen?“ Was soll ich sagen? Ich bin einfach müde von der Gleichgültigkeit, die uns von der Politik entgegengebracht wird. Platt von einer (vor allem emotional) sehr anstrengenden Woche mit vielen negativen Gefühlen, die ich versuche mit diesem Text loszulassen, in der Hoffnung, dass er die Entscheidungsträger erreicht.

Jeder pädagogischen Fachkraft ist bewusst, dass wir in der Kita durch die vielen ungeschützten Kontakte ein erhöhtes Risiko einer Ansteckung tragen. Aber mit der neuen Regelung wird aus dem Ansteckungsrisiko nahezu eine Ansteckungsgarantie. Und das für alle, die die Kita besuchen. Das kann und darf einfach nicht sein.

Zum Abschluss noch eine Botschaft an all meine KollegInnen in Rheinland-Pfalz, die weiter tapfer durchhalten, obwohl sie vielleicht, wie ich, längst kein Verständnis mehr für den Kurs der Entscheidungsträger aufbringen können: Ihr seid klasse! Ihr macht einen tollen und wichtigen Job, ihr gebt euer Bestes und ihr habt es mehr als verdient, dass man sich für euch einsetzt! Haltet zusammen und sorgt gut für euch. Und bleibt vor allem gesund! Das ist in diesen Zeiten das höchste Gut!

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