Bundesfamilienministerin Paus hat sich am 27.12. zum Thema „Anstieg der Gewalt in Kitas“ geäußert (siehe https://www.deutschlandfunk.de/bundesfamilienministerin-paus-entsetzt-ueber-faelle-von-gewalt-in-kitas-100.html ). Der Kita-Fachkräfteverband RLP hat dazu in einer Pressemitteilung Stellung genommen.
Auch den Verband Kita-Fachkräfte Rheinland-Pfalz bewegt das Thema „Anstieg der Gewalt in Kitas“ Wir halten die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema für dringend geboten.
Wenn Bundesfamilienministerin Paus davon spricht, dass es trotz Überforderung keine Gewalt in Kitas geben dürfe, wirft das für Fachkräfte aus der Praxis allerdings Fragen auf.
Ja, Gewalt in Kitas darf nicht sein. Sie ist aber da und in vielen Einrichtungen zumindest in subtiler Form präsent. Verletzendes Verhalten in Kitas beschränkt sich nicht auf die durch Recherchen des Bayerischen Rundfunks aufgedeckten Fälle.
Auch Fachkräfte aus Rheinland-Pfalz können von unangemessenem oder übergriffigen Verhalten und Gewalt in Kitas berichten. Verdachtsfälle, die polizeirelevant sind, bilden nur die Spitze des Eisbergs. Viel häufiger kommen in der Praxis Formen der sogenannten Alltagsgewalt vor. Der Ton wird lauter und rauer, Kinder bekommen nicht die nötige Zeit und Assistenz, zum Beispiel beim Essen oder Anziehen, sie werden abgefertigt, es ist nicht möglich, auf ihre Bedürfnisse einzugehen oder sie erhalten nicht die notwendige Zuwendung und Unterstützung, um Konflikte zu lösen oder sich emotional zu regulieren.
Eine Ursache liegt sicherlich im Berufsverständnis und der fehlenden persönlichen Eignung einzelner Fachkräfte. Wir stimmen der Ministerin zu, dass es wichtig ist, gut ausgebildetes Personal in Kitas zu beschäftigen. Schulungen und institutionelle Schutzkonzepte können zusätzlich zur Professionalisierung beitragen.
Eine bedeutsame und häufige Ursache für verletzendes Verhalten gegenüber Kindern sind die strukturellen Mängel im Kita-System. Sie bilden einen Nährboden für Vernachlässigung und Alltagsgewalt. Dies zeigt beispielsweise die vielbeachtete Studie „Verletzendes Verhalten in Kitas“ die von Prof. Dr. Astrid Boll und Prof. Dr. Remsperger-Kehm 2021 veröffentlicht wurde.
Große Kindergruppen in beengten Räumlichkeiten und eine schlechte Fachkraft-Kind Relation führen zu Überforderung von Kindern und Personal. Der Einsatz von Aushilfskräften, die nicht zusätzlich, sondern anstelle von Fachkräften eingesetzt werden, erschwert ein gutes pädagogisches und fachliches Arbeiten außerdem.
Das Kita-System ist komplex. Träger, Kommunen, Land und Bund bilden hier eine Verantwortungsgemeinschaft. Um strukturelle Mängel, die Gewalt begünstigen, zu beseitigen, müssen auch in einem föderalen System alle Beteiligten mehr tun. Einen Alltag unter kindgerechten Bedingungen für unsere Jüngsten zu schaffen, muss erklärtes Ziel aller Verantwortlichen sein.
Es ist gut, dass Ministerin Paus ihrem Entsetzen Ausdruck verliehen hat. Wenn sie ihren Worten Taten folgen lassen will, muss sie sich für eine Erhöhung der Bundesmittel im Kita-Bereich einsetzen sowie sicherstellen, dass diese Mittel ausschließlich für eine bessere Personalisierung und Ausbildung neuer Fachkräfte genutzt werden. Chancengleichheit für die Kinder aller Bundesländer zu schaffen, Kinderrechte und Kinderschutz sowie die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu fördern, gehören zu den Aufgaben der Bundesregierung.