Interview aus der Praxis: Das neue Kita-Gesetz

Interview mit Sabine Müller (45 Jahre), Standortleitung der kath. KiTa St. Mar-tin in Wißmannsdorf. Träger dieser KiTa ist die katholische KiTa gGmbH Trier.

Frau Müller, Sie arbeiten bei einem großen Trägerverbund, der aktuell 151 Kindertagesstätten unterhält. Können Sie kurz die Struktur dieses großen Trägers beschreiben?


In unserer KiTa kommen, wie in vielen anderen KiTas auch, unterschiedliche Trägerstrukturen zum Tragen. Unser Betriebsträger ist die kath. KiTa gGmbH Trier; der Bauträger ist die hiesige Pfarrgemeinde.
Der Vorteil an unserem großen Betriebsträger ist, dass sich dort ausschließlich mit der Thematik KiTa beschäftigt wird. Alle Menschen, die dazugehören, arbeiten in der KiTa, mit der KiTa oder für die KiTa.
Als Standortleitung leite ich seit dreieinhalb Jahren die kath. KiTa St. Martin in Wißmannsdorf. Bei Fragen und Anliegen kann ich mich jederzeit an die Geschäftsstelle wenden. Unsere Gesamtleitung ist für insgesamt 9 Kindertageseinrichtungen zuständig und steht immer mit Rat und Tat zur Seite. Sie bildet die Schnittstelle zwischen der Geschäftsführung und den Standorten und unterstützt auf normativer und strategischer Ebene.
Wir haben ein sehr gut implementiertes Qualitätsmanagementsystem und Bereiche wie das Betriebliche Gesundheitsmanagement (Vergünstigungen in Fitnessstudios; Kooperationen mit Krankenkassen; kostenfreie Angebote rund um das Thema Gesundheit für die MA) und Betriebliche Eingliederungsmanagement sind selbstverständlich.



Sie und Ihr Team hatten es im letzten Jahr nicht leicht. Wie haben Sie diese schwierige Zeit durchgestanden?


Unsere KiTa ist eine „Flut-KiTa“. Sie liegt nicht an der Ahr, sondern in der Eifel. Bei der Flutkatastrophe im vergangenen Jahr ist unsere Einrichtung dem eigentlich kleinen Flüsschen „Prüm“ zum Opfer gefallen.
Während des letzten Jahres sind wir 7mal umgezogen; waren in Turnräumen und Gemeindehäusern sowie in der Grundschule untergebracht. Zeitweise waren wir mit unseren drei Gruppen auf drei Standorte aufgeteilt.
Anhand unseres Maßnahmenplans überlegten wir immer an die Situation angepasst, welche Betreuungszeiten wir gewährleisten können und wann Öffnungszeiten gekürzt werden müssen.
Wir sind nun sehr froh, endlich wieder nach genau einem Jahr Auslagerung, in unseren sanierten KiTa-Räumen zu sein. Ich hätte es in unserer Situation verstehen können, wenn Mitarbeiterinnen gegangen wären. Das war aber zum Glück nicht der Fall. Wir sind ein sehr beständiges Team und die Kolleginnen haben alles darangesetzt, dass es den Kindern trotz unserer schwierigen Umstände gut in den Ausweichquartieren geht und sie sich wohlfühlen.


Eingeschränkte Öffnungszeiten sind für viele Eltern, die Beruf und Familie unter einen Hut bringen müssen, problematisch. Wie arbeiten Sie diesbezüglich mit den Eltern zusammen?


Als ich vor dreieinhalb Jahren die Leitung übernahm, wurden die Öffnungszeiten oft aufrechterhalten, obwohl die Kinder nicht mehr richtig betreut werden konnten. Die Kolleginnen sind mehr und mehr auf dem Zahnfleisch gegangen. Unser Maßnahmenplan schützt Kinder und Fachkräfte. Es ist wichtig, dies den Eltern immer wieder transparent zu machen und zu erklären, was in der aktuellen Situation noch leistbar ist. Uns leitet der Gedanke, dass die Einschränkungen für alle Eltern und Kinder verhältnismäßig sein sollen. So haben wir beispielsweise im Elternausschuss folgendes diskutiert: Schließen wir um 14:15 Uhr für alle Kinder die Einrichtung, weil kein Personal mehr da ist und nehmen in Kauf, dass (an diesem Tag) 4 Familien Schwierigkeiten haben, ihre Kinder zu betreuen oder halten wir die reguläre Öffnungszeit aufrecht und wir müssen 25 Kinder reduzieren – also eine Notbetreuung einrichten; dies ist für viele Kinder und Familien nach zwei Jahren Corona und einem Jahr Auslagerung mit vielen Einschränkungen und Zeiten der Notbetreuung sehr schwierig.
Dies sind keine einfachen Diskussionen, da wir die Not der Eltern sehen aber nur mit dem Personal arbeiten können, das gerade verfügbar ist. Als Leitung stehe ich diesbezüglich auch in engem Austausch mit meiner Gesamtleitung. Die Frage ist immer, welche Öffnungszeit ist noch leistbar. Die sieben Stunden Rechtsanspruch können wir meistens möglich machen. Während der Omikron Welle im Frühjahr war es aber auch manchmal notwendig, dass die Kinder bereits um 13:00 Uhr abgeholt wurden.


Könnte man als Erzieherin den Kindern nicht auch mal zumuten, dass es etwas chaotisch läuft und die Kinder nicht gut beaufsichtigt werden können, weil die Gewährleistung der Betreuungszeiten am wichtigsten ist?


Nein, das Wichtigste sind die Kinder und deren wohlergehen. Bestimmte Dinge müssen im Kita-Alltag gewährleistet werden, damit es den Kindern gutgeht. Wenn beispielsweise eine Erzieherin mit einer Gruppe Kinder allein beim Essen ist, könnte sie weder die Kinder alleine lassen, um einem Kind beim Toilettengang zu helfen noch das Kind allein schicken, wenn es auf Assistenz angewiesen ist. Ein anderes Beispiel wäre, dass eine Kraft allein 20 Kindern beim Anziehen von Matschhosen, Schuhen, Jacken, Mützen assistiert. Das braucht so viel Zeit, dass viele Kinder lange schwitzend in voller Montur warten müssten, bis alle fertig sind und draußen die Aufsicht gewährleistet wäre.
Ausschlaggebend ist die Ebene der Kinder, sowohl im zeitlichen als auch im räumlichen Kontext. Wie würde es mir gehen, wenn ich beispielsweise mit 20 anderen Menschen in einem Bewegungsraum nach dem Mittagessen zur Ruhe kommen sollte? Solche Fragen sollten sich die Fachkräfte und Leitungen in allen Situationen des Kita-Alltags stellen. Die Kinder müssen der Ausgangspunkt von allem sein, was wir tun.



Und könnte man von den Kita-Fachkräften nicht grundsätzlich verlangen, das pädagogische Arbeiten zu streichen und eine reine Beaufsichtigung in Kauf zu nehmen, um die Öffnungszeiten zu gewährleisten?


Das ist sehr kurzsichtig gedacht. Kinder sind nicht nur auf Betreuung, sondern auch auf Bildung und Förderung angewiesen. Genau das ist auch unser gesetzlicher Auftrag. Die Fachkräfte brauchen Zeit, sich den Kindern zuzuwenden, sie zu beobachten, ihre Ideen, Fragen und Wünsche aufzugreifen und auf dieser Grundlage die pädagogische Arbeit zu gestalten. Wir haben in unserer KiTa (nun endlich wieder) Verfügungszeiten, Teamzeiten und Zeiten für die Praxisanleitung fest im Dienstplan verankert. Diese Zeiten werden bei Personalmangel nur im akuten Notfall gestrichen. Sobald der Maßnahmenplan greift, sind mittelbare Arbeitszeiten wieder eingeplant.
Die Dienstplangestaltung ist immer ein Geben und Nehmen. Flexibilität ist wichtig, aber auch der jeweiligen Situation der Fachkraft ist Rechnung zu tragen. Als Leitung muss ich schauen, dass die Einrichtung gut läuft und gleichzeitig, dass die Mitarbeitenden gut arbeiten können. Wenn KollegInnen in Teilzeit arbeiten, so hat dies einen Grund und ich kann nicht immer er-warten, dass sie zu Hause alles stehen und liegen lassen, damit wir die Öffnungszeiten aufrechterhalten können. Außerdem muss immer wieder bedacht werden, dass die Überstunden, die geleistet wurden, auch irgendwann wieder abgebaut werden müssen.



Wie hat sich die Situation in ihrer Kita durch das neue Kita-Gesetz verändert?


Der Personalschlüssel war auch unter dem alten Gesetz bereits knapp bemessen. Nun wurden uns mit Inkrafttreten des neuen Kita-Gesetzes 1,15 Stellen gestrichen. Dass die Öffnungszeiten um 15 Minuten täglich gekürzt wurden, wiegt die fehlenden Stellen natürlich nicht auf, zumal mit dem Rechtsanspruch auf eine durchgehende Betreuung neue Aufgaben hinzukamen und die Arbeit sich verdichtet hat.



Was sagen Sie zu dem Argument, dass jetzt erstmal der Rechtsanspruch zu erfüllen sei und für alle Kinder Plätze geschaffen werden müssen. Später könne man sich dann um Qualitätsverbesserungen Gedanken machen?


Die Kinder, die jetzt da sind, brauchen jetzt gute Bedingungen! Genügend Personal in der Einrichtung zu haben, ist gelebter Kinderschutz. Kinder brauchen Erwachsene, die für sie da sind. Das gilt nun ganz besonders, seit die meisten Kinder ganztägig betreut werden. Mir ist es sehr wichtig, hier sachlich und fachlich zu argumentieren und zu diskutieren. Jammern hat dagegen noch niemandem geholfen und bringt nur unseren Berufsstand in Verruf.



Sie sind schon lange im Beruf. Wie nehmen Sie die Entwicklung der letzten 25 Jahre wahr?


Die ersten Lebensjahre sind für die Entwicklung eines Kindes grundlegend wichtig. Was hier versäumt wird, ist später nur schwer nachzuholen. Politisch und gesellschaftlich wurden Kitas lange nicht in ihrer Bedeutung wahrgenommen. Der quantitative Ausbau ist eine Erfolgsgeschichte, die aber zu Lasten der Fachkräfte und der pädagogischen Arbeit mit den Kindern ging.
Es muss allen im Kita-System endlich bewusstwerden, dass auch ErzieherInnen keine eierle-genden Wollmilchsäue sind.


Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Claudia Theobald

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