Landtagsdebatte Juni 2022: Wir diskutieren mit!

Die Debatten im Plenum des Landtags können alle Bürger*innen live oder als Aufzeichnung mitverfolgen. Im Juli 22 wurde zum wiederholten Male über die Kitas debattiert. Die gesellschaftliche Bedeutung der Kitas und ihre problematische Situation sind in unserer Gesellschaft angekommen und deshalb auch Gegenstand von Landtagsdebatten.

Die positiven Redebeiträge werfen Fragen auf. Schaut man sich als Kita-Fachkraft die Debatte an, würde man am liebsten auch ans Rednerpult treten oder Zwischenrufe starten. Das geht natürlich nicht, aber im Nachgang können wir uns als die Alltagsexpert*innen mit dem Gesagten auseinandersetzen, argumentieren oder Rückfragen stellen.

Wir möchten das ganz im Sinne unseres Bundespräsidenten tun, der sagt:

Wir brauchen die Demokratie – aber ich glaube:

Derzeit braucht die Demokratie vor allem uns!

(Frank-Walter Steinmeier, Deutscher Bundespräsident)


Sven Teuber als bildungspolitischer Sprecher der SPD argumentierte:

  • Man solle doch nicht die Leistung der Kitas schlechtreden, denn sonst wäre es noch schwieriger, junge Menschen für diesen Beruf zu begeistern.
  • Der Ausbau der Ganztagesbetreuung stehe ganz oben auf der Liste der Landesregierung.
  • Als Vater eines Kita-Kindes sei es ihm ein besonderes Anliegen, dass Kinder bestmöglich gefördert werden und aufwachsen.

Sehr geehrter Herr Abgeordneter Teuber,

etwas Gutes oder Akzeptables schlechtzureden, ist kontraproduktiv. Missstände zuzudecken, ist allerdings genauso wenig hilfreich und löst kein einziges Problem.

Der Kita-Fachkräfteverband würde gern wissen, auf welchen fachlichen Grundlagen Ihre Überzeugung beruht, dass wir unter den aktuellen Rahmenbedingungen eine gute pädagogische Qualität in unseren Kitas haben und Kinder bestmöglich gefördert werden.

Der Fachkräfteradar sagt über die rheinland-pfälzische Kita-Qualität:

Nach wie vor aber fehlen Plätze, und die personellen Rahmenbedingungen in den KiTas entsprechen noch nicht wissenschaftlich begründeten Standards für eine kindgerechte Qualität, gemessen am Personalschlüssel. Zu wenig Personal wirkt sich
insbesondere negativ auf die pädagogische Praxis aus. Eine bundesweite Befragung von KiTa-Teams hat solche Effekte eindrücklich aufgezeigt: So können KiTas ohne qualifiziertes Personal in ausreichender Zahl ihren Bildungs-, Betreuungs- und Erziehungsauftrag nicht kindgerecht erfüllen – vielmehr können sie oftmals nur noch die Betreuung der Kinder gewährleisten“
(Klusemann/Rosenkranz/Schütz 2020)

Es ist unter Fachleuten und der Fachpraxis völlig unstrittig, dass die Kita-Rahmenbedingungen nicht kindgerecht sind. Die Idee, dass Kinder in unseren Kitas bestmöglich gefördert würden, liegt fernab der Realität in den Einrichtungen.

Es reicht nicht, die Ganztagesbetreuung oben auf der Liste zu haben. Wir brauchen genauso die entsprechende pädagogische Qualität.

Als Abgeordneter und Mitglied im Stadtrat der schönen Stadt Trier können Sie sich ein Bild von der Lage der Kitas machen und mit Fachkräften ins Gespräch gehen. Der Kita-Fachkräfteverband würde sich sehr über eine Kontaktvermittlung zu einer Kita freuen, deren Mitarbeiter*innen den Anforderungen der rheinland-pfälzischen Bildungs- und Erziehungsempfehlungen gerecht werden und allen Kindern eine bedürfnisorientierte Betreuung, individuelle Förderung und Entwicklungsbegleitung gewährleisten. Gern führen wir mit Kita-Fachkräften, die mit ihren Arbeitsbedingungen glücklich und zufrieden sind, ein Interview. Wir brauchen nur eine entsprechende Adresse.


Daniel Köbler von den Grünen, stellvertretendes Mitglied im Bildungsausschuss und Experte seiner Fraktion für frühkindliche Bildung, sagte:

  • Man kann immer noch mehr fordern.
  • Wenn wir das Geld hätten, würden wir gern noch mehr tun.
  • Die Probleme, die gelöst werden müssen, gehen wir mit Nachdruck an.

Sehr geehrter Herr Abgeordneter Köbler,

In den letzten 25 Jahren lag der Fokus ganz klar auf dem quantitativen Ausbau unserer Kitas, um der veränderten gesellschaftlichen Realität Rechnung zu tragen. Die Probleme, die gelöst werden müssen, betreffen nicht nur den quantitativen Ausbau. Die Herausforderung der Zukunft wird sein, die Qualität im erforderlichen Maß anzupassen, damit unsere Kinder eine gute frühkindliche Bildung und Förderung bekommen. Die ersten Lebensjahre legen das Fundament der Bildungsbiografie. Quantität und Qualität müssen finanziert werden.


Marco Weber, bildungspolitischer Sprecher der FDP, meinte:

  • Man muss positiv an die Sache herangehen.
  • Erzieher*innen machen einen Knochenjob, damit Eltern entlastet werden.
  • Erzieher*innen machen einen Top Job.
  • Frühkindliche Bildung hat große Potentiale, wer in diesen Bereich investiert, investiert in die Zukunft.

Sehr geehrter Herr Abgeordneter Weber,

Es gehört zu unseren Aufgaben, einen Knochenjob zu machen, um die Betreuung der Kinder zu gewährleisten. Darüber beschweren wir uns nicht, das ist Teil unseres Berufes. Die meisten von uns würden Ihnen aber mittlerweile heftig widersprechen, dass sie einen Top Job machen.

Erzieher*innen haben eine frühpädagogische Ausbildung. Das, was wir über frühe Bildung und Förderung gelernt haben, können wir mittlerweile nur noch punktuell und rudimentär im Kita-Alltag umsetzen.

Wir erweisen einer guten frühkindlichen Bildung und bedürfnisorientierten Betreuung einen Bärendienst, wenn wir so tun als sei alles nur eine Sache des positiven Denkens.

Der Kita-Fachkräfteverband geht das Thema positiv an, indem er die Zustände transparent macht und die Überzeugung hegt, dass ein bedarfsgerechter Ausbau der Kita-Plätze und eine kindgerechte pädagogische Qualität erforderlich sind. Die Finanzierung ist, ganz positiv gesehen, eine Sache der Prioritäten.


Frau Bildungsstaatsministerin Hubig führte aus:

– Die Erzieher*innen sind überlastet, weil wir zwei Jahre Corona hinter uns haben.

– Viele Kitas haben das neue Gesetz geräuschlos umgesetzt.

– Erstmal müssen wir uns kümmern, dass Stellen besetzt werden, bevor wir uns um einen besseren Personalschlüssel Gedanken machen.

– Es mit ganz viel Engagement sehr gut klappt.

Sehr geehrte Frau Bildungsstaatsministerin Hubig,

die Corona- Zeit war und ist schwierig für die Kitas. Ständig neue Bestimmungen, die nicht selten in der Praxis schwer umsetzbar waren und massive Personalausfälle aufgrund von Corona-Erkrankungen haben die letzten Jahre geprägt. Und gleichzeitig sind viele Fachkräfte unglücklich, resigniert und frustriert, weil sich mit den Personalschlüsseln des neuen Gesetzes der Schwerpunkt der Arbeit noch weiter in Richtung Beaufsichtigung verschoben hat. Auch wenn mancherorts das Gesetz geräuschlos umgesetzt wurde (vielleicht sind die Geräusche aber lediglich nicht zu Ihnen vorgedrungen), haben wir kaum noch Zeit, uns den Kindern so zuzuwenden, wie das erforderlich wäre. Frühpädagogisches Arbeiten heißt, Kinder zu beobachten, Interessen und Fragen aufzugreifen und mit den Kindern gemeinsam Angebote und Projekte zu entwickeln. Das ist aktuell nur noch rudimentär und punktuell möglich. Die Personalschlüssel sind zu knapp bemessen. Sobald Personal ausfällt und der Träger keine Vertretungskräfte hat, müssen außerdem Angebote eingeschränkt oder Betreuungszeiten gekürzt werden. Das ist auch in voll besetzten Kitas unabhängig vom Fachkräftemangel der Fall. Wenn Sie der Auffassung sind, dass die Gewährleistung der Betreuungszeiten erst einmal wichtiger als gute pädagogische Bedingungen ist, steht das im Widerspruch zu Ihrem Vorwort der rheinland-pfälzischen Bildungs- und Erziehungsempfehlungen, wo Sie ausdrücklich über den Wert einer guten frühkindlichen Bildung sprechen.

Ich wiederhole hier nochmal, dass wir ohne kindgerechte Personalschlüssel den Kindern nicht gerecht werden und es auch mit ganz viel Engagement nicht gut klappt. Im Gegenteil, jede engagierte Kita-Fachkraft, die für Frühpädagogik brennt, kann mit den Rahmenbedingungen nicht zufrieden sein und sollte sichtbar zu machen, wie es vor Ort aussieht.


In einigen Punkten stimmen wir den Redner*innen zu:

  • Wir begrüßen, dass alle geeigneten Bewerber*innen, die dies wünschen, einen dualen vergüteten Ausbildungsplatz bekommen. Dafür müssen die Träger allerdings auch genügend Plätze zur Verfügung stellen.
  • Wir begrüßen, dass Auszubildende nicht auf den Personalschlüssel angerechnet werden.
  • Eine Werbekampagne für den Erzieherberuf ist bestimmt hilfreich. Dabei wäre es wichtig, dass die Werbefilme wenigstens halbwegs die Realität in den Kitas widerspiegeln und nicht zum Beispiel eine junge Schönheit zeigen, die sich einer handvoll Kindern in einem ansonsten leeren Gruppenraum widmet.
  • Durchgängige Betreuung, Kita-Sozialarbeit und gestärkte Elternmitwirkung sind zeitgemäße Aspekte des neuen Gesetzes. Ohne kindgerechte Personalschlüssel und Räumlichkeiten gerät das Kita-System allerdings trotzdem in Schieflage.
  • Wir stimmen ausdrücklich zu, dass jeder Euro, der in frühkindliche Bildung investiert ist, eine Investition in die Zukunft darstellt. Umso bedenklicher ist es, dass in der Vergangenheit in längere Betreuungszeiten und die Betreuung immer jünger Kinder investiert wurde, nicht jedoch in eine bessere pädagogische Qualität und kindgerechte Bedingungen.
  • Das Kitasystem ist eine Verantwortungsgemeinschaft. Alle Teile dieser Gemeinschaft müssen zusammenarbeiten und dazu beitragen, dass die Probleme bewältigt werden. Um dem Ziel eines kindgerechten Kita- Alltags näher zu kommen, braucht es die gemeinsame finanzielle Anstrengung von Bund, Ländern, Kreisen, Kommunen und Trägern.

Unser Fazit aus dem Gesagten:

Das Problem des Fachkräftemangels ist auf Regierungsebene angekommen. Dagegen werden Maßnahmen ergriffen, denn man weiß mittlerweile um die gesellschaftliche Bedeutung einer stabilen institutionellen Kinderbetreuung.

Das Problem der schlechten Rahmenbedingungen für eine kindgerechte Frühpädagogik ist leider noch nicht angekommen. Die Auffassung, dass mit Personalschlüsseln, die weitab fachlicher Mindestanforderungen liegen, trotzdem gute frühkindliche Bildung, individuelle Förderung und Entwicklungsbegleitung sowie bedürfnisorientierte Betreuung möglich sei, entbehrt jeder fachlichen Grundlage.

Wir können uns als Gesellschaft darauf einigen, dass unsere finanziellen Mittel nur für eine Aufbewahrung der Kinder in überfüllten Räumen und für Personal, dessen Arbeitsschwerpunkt darin liegt, Aufsicht zu führen, reicht. Das muss dann gegenüber der Gesellschaft und den Eltern aber auch ehrlich kommuniziert werden.

Es gibt aus entwicklungspsychologischer Sicht keine neutrale Aufbewahrung von Kindern. Eine Kinderbetreuung, die nicht entwicklungsförderlich ist, ist entwicklungsgefährdend und lässt Potentiale brach liegen. Das gilt besonders für die ersten Lebensjahre, in denen die Grundlagen gelegt werden.

Die Bildungspolitiker*innen, die in der Debatte ein positives Bild der frühkindlichen Bildung in RLP gezeichnet haben, sollten Ihre Sicht der Dinge fachlich begründen können. Wir wünschen uns seriöse fachliche Quellen und Adressen von Kitas, die unter dem Gesetz eine hochwertige frühkindliche Bildung und bedürfnisorientierte Betreuung für alle Kinder gewährleisten können und zufrieden mit ihren Arbeitsbedingungen sind.

Wir werden diesen Artikel an die Landtagsfraktionen der Parteien senden, auf deren Redebeiträge wir uns beziehen.

Wir bedanken uns, dass Bildungspolitiker*innen mit uns im Gespräch bleiben, obwohl wir unbequem sind und den Finger in die Wunde legen. Das zeugt von Bereitschaft, den Bezug zur Praxis zu erhalten und die Basis in politische Diskussionen mit einzubeziehen.

Wir freuen uns auf den weiteren Austausch.


Hier könnt ihr euch ab 3.25.25 h die Kita-Debatte anschauen:

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