Warum Kita-Fachkräfte nicht mehr in der Kita arbeiten wollen

Claudia Theobald vom Kita-Fachkräfteverband RLP hat ein Interview mit Miriam Kirsch (28), Bachelor für Erziehungswissenschaften (mit dem Schwerpunkt Pädagogik der frühen Kindheit und interkulturelle Bildung) geführt.

Frau Kirsch, Sie haben nach Ihrem Studium mehr als drei Jahre in einer südpfälzischen Kita gearbeitet. Was hat Sie bewogen, dieser Tätigkeit nun den Rücken zu kehren?

Für mich hat sich der Arbeitsalltag in den letzten drei Jahren drastisch verändert, die Rahmenbedingen die uns durch das neue Kita-Gesetzt aufgezwungen wurden sind für mich nicht mit meinem moralischen Verständnis von Pädagogik mehr zu vereinbaren. In vielen Situation im Alltag, stellte sich bei mir das Gefühl der unterlassenen Hilfeleistung ein. Theoretisch wusste ich genau, wie ich ein Kind bedürfnisorientiert unterstützen kann, was mir jedoch praktisch aufgrund der Umstände nicht möglich war.

In unserem Beruf tragen wir eine enorm hohe Verantwortung für die Kleinsten unserer Gesellschaft. Ich nehme nun für mich diese Verantwortung war, indem ich nicht mehr Teil dieses Systems bin. Mein moralischer Kompass erlaubt es mir nicht mit dem Wissen, das ich im Studium ganz speziell auf den Gebieten Pädagogik und Psychologie erlangt habe, unter den Bedingungen, die uns das Land setzt, zu arbeiten. In den letzten 10-15 Jahren wurde intensiv auf dem Gebiet der Frühpädagogik geforscht. Wir wissen heute, wie grundlegend die ersten Lebensjahre sind und wie kindgerechte Betreuung mit einem kindgemäßen Personalschlüssel und angepassten Räumlichkeiten aussehen müsste. Für mich ist es unfassbar, dass das neue Kita-Gesetz dies nicht würdigt. Seit in Kraft treten im Juli 2021 wurden in meiner Kita 1,5 Stellen gestrichen. Gleichzeitig mussten mehr Kinder ab dem zweiten Lebensjahr aufgenommen werden. Somit stand für mich ein Verbleib in der Kita nicht zur Debatte.

Wie hat sich der Kita-Alltag dadurch verändert?

Wir können die Kinder nicht mehr individuell begleiten, wie es notwendig wäre. Ganz besonders junge Kinder brauchen bei der Eingewöhnung viel Zeit und Zuwendung, um Vertrauen und eine sichere Bindung zu einer Fachkraft aufzubauen. Nur durch eine geglückte Eingewöhnung ist es den Kindern möglich, ihre Umwelt aktiv zu explorieren. Obwohl wir unter den herrschenden Bedingungen unser aller Bestes geben, ist es für viele Kinder nicht ausreichend. Viele bräuchten über eine weitaus längere Zeit unsere volle verlässliche Achtsamkeit, um den Tag gut zu überstehen. Aufgrund des begrenzten Personalschlüssels müssen Kinder – unabhängig ihrer Altersstufe – funktionieren, auch mit dem größten Engagement der Fachkräfte können sie nicht bedürfnisorientiert auf alle Kinder eingehen. Um überhaupt eine solch große Anzahl Kinder alleine beaufsichtigen zu können, müssen wir deutlich direktiver werden als es pädagogisch sinnvoll ist. Altersgerechte Bildungsangebote, das Aufgreifen der Interessen und Ideen der Kinder sind nur noch sehr eingeschränkt möglich. Das ist für eine freie Entfaltung der Kinder kontraproduktiv.

Alle Kinder haben nun einen Rechtsanspruch darauf, durchgehend mindestens sieben Stunden betreut zu werden. Wie haben Sie diese Umstellung erlebt?

Unsere Gesellschaft macht sich viel zu wenig Gedanken darüber, was es Kleinkindern (unter drei Jahren) abverlangt, sieben Stunden oder länger mit so vielen Menschen auf engem Raum, mit entsprechendem Lärmpegel und einer Fülle verschiedenster Reize zurechtzukommen.

Da es nun so gut wie keine Zeiten mehr gibt, in denen es ruhiger zugeht und weniger Kinder da sind, leidet die Atmosphäre. Durch die gestiegene Kinderzahl gibt es kaum noch Rückzugsorte für intensives Spiel oder ruhige Bereiche, in denen die Kinder auf individuelle Weise die Welt entdecken und Lernerfahrungen sammeln können.

Beim Mittagessen legten wir viel Wert auf eine angenehme Atmosphäre, Tisch- und Gesprächskultur. Nun empfinde ich das Mittagessen eher als Massenabfertigung. Vor allem die Kleinkinder brauchen, beim Essen und dem anschließenden Mittagsschlaf verstärkt unsere Aufmerksamkeit, was wiederum von der verfügbaren Zeit der älteren Kinder abgeht.

Einigen Kindern ist der Tag im Kindergarten zu lange. Wir erkennen das beispielsweise daran, dass am Nachmittag veränderte Verhaltensweisen und ein ausgeprägtes Ruhebedürfnis auftreten, was aus der Überforderung am Morgen resultiert. Alles in allem hat sich durch die gesetzliche Veränderung hauptsächlich ein Vorteil für die Eltern ergeben, keineswegs jedoch für die Kinder.

Wie nehmen Eltern die Situation wahr?

Eltern stehen oft unter großem gesellschaftlichem und individuellem Druck, Beruf und Familie unter einen Hut zu bekommen. Meistens haben dann doch Frauen die Entscheidung zu treffen, wann ihr Kind in die Kita gehen wird. Ich bin Feministin! Jeder Frau soll es freistehen, ob und wie bald sie in ihren Beruf zurückkehren will. Durch das in Kraft getretene Gesetz zeichnet die Politik das Bild, eine frühe Kita-Betreuung sei entwicklungsfördernd und Kinder dort von klein auf am besten aufgehoben. Dies wäre jedoch nur unter anderen Rahmenbedingungen wie beispielsweise einen höheren Betreuungsschlüssel zutreffend.

Manche Eltern können oder wollen sich auch nicht gern damit auseinandersetzen, dass der lange Kita-Tag ihr Kind vielleicht überfordert. Wenn es nun einen Rechtsanspruch auf mindestens sieben Stunden gibt, werden die Kitas auch dementsprechend räumlich und personell ausgestattet sein, glauben viele Eltern. Schließlich bekommen sie von der Politik beste frühkindliche Bildung versprochen.

Gleichermaßen darf man Eltern auch kein grundsätzliches Desinteresse unterstellen. Es ist schon auch von Nöten, dass Kita-Fachkräfte ihren falschen Stolz ablegen. Fachkräfte müssen nicht glauben, dass ein chaotischer Tag oder weinende Kinder ausschließlich das Resultat mangelnder pädagogischer Fertigkeiten sind. Es ist wichtig, den Eltern mit Courage gegenüberzutreten, um auf die strukturellen Veränderungen und die Bedürfnisse der Kinder aufmerksam zu machen. Die Eltern haben durchaus verstanden, dass ein Gesetzt in Kraft getreten ist, womit wir pädagogischen Fachkräfte nicht einverstanden sind. Aber die praktische Bedeutung für ihr Kind können sie sich ohne unsere Beschreibungen nur schwer ausmalen.

Frau Kirsch, was müsste sich in unseren Kitas ändern?

Auf aller ersten Ebene ist es notwendig, politische Entscheidungen im Konsens mit der frühkindlichen Forschungserkenntnissen zu treffen. Kitas brauchen personellen und strukturellen Freiraum, um individuell für ihre Einrichtung und die dortigen Kinder einen Alltag zu gestalten, der für alle Altersgruppen angenehm, behütet und förderlich ist.

Zudem ist wichtig, Eltern als Verbündete zu betrachten, mit dem Gedanken, sich gemeinsamen für das Wohl ihrer Kinder zu engagieren. Dazu ist es von absoluter Dringlichkeit zu erzählen, wie ein Kita-Alltag zurzeit aussieht und wie dieser unter verbesserten Umständen aussehen könnte. Und wie viel Potential in Fachkräften und Kinder noch schlummert, wenn sie gleichermaßen dürften, wie sie wollten und auch könnten. Hier kann ich natürlich nur von meinen Kolleginnen sprechen, bestimmt stimmen mir aber auch Kolleg*innen anderer Einrichtungen zu.
Die Politik wollte mit dem neuen Kita-Gesetz ein familienfreundlicheres Image aufbauen. Deshalb glaube ich, wenn Eltern ihre Unzufriedenheit zum Ausdruck bringen und sich Gehör für ihr Anliegen verschaffen, würde das Gesetz überarbeitet und die Bedingungen verbessert werden.

Was haben Sie beruflich in Zukunft vor?

Ich werde in der Pädagogik bleiben, aber in einem Bereich arbeiten, in dem das neue Kita-Gesetz nicht meinen Arbeitsalltag prägt.

Vielen Dank für das Gespräch. Ich wünsche Ihnen für Ihre Zukunft alles Gute!

2 Meinungen zu “Warum Kita-Fachkräfte nicht mehr in der Kita arbeiten wollen

  1. Viola Keller sagt:

    Die 7 Stunden Betreuung am Tag gibt es schon länger, nur wurden sie durch eine Pause unterbrochen, was, aus meiner Sicht für die Kinder noch blöder ist. Definitiv mehr Personal, man kann nicht 9 Stunden am Kund arbeiten und dann noch dokumentieren. Es wäre Sinne voller, dass nach 7 Stunden Feierabend für die Kinder ist, das ist vollkommen ausreichend. Die Vor- und Nachbereitungszeiten sind zu kurz und fallen dem Betreuungsbedarf zum Opfer.

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